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"Wort des Bischofs": Christus' Licht in den Rissen unserer Tage

Die Radio-Worte hier zum Nachlesen

Bischof Stäblein bei der Andacht nach dem Amoklauf in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Foto: Gerald Zabel

Das "Wort des Bischofs" läuft im rbb-Radio 88,8. Am Samstag, den 11. Juni 2022, sagte Bischof Christian Stäblein Folgendes:

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer, 

als ob der Ort nicht schon genug Risse hätte. Wieder eine mörderische Gewalttat ganz nah am Breitscheidplatz. Ein Mann rast mit einem Auto in eine Schulklasse, junge Menschen aus Hessen bei ihrer Abschlussfahrt. Ihre Lehrerin wird Opfer des Gewaltaktes, viele der Schülerinnen und Schüler sind verletzt, an Leib und mindestens so sehr an ihrer Seele. Das ist alles so furchtbar, dass mir auch drei Tage später der Atem stockt, während ich das ausspreche. Eine Amoktat bleibt unfassbar, weil sie weder Grund noch Motiv erkennen lässt. Das Töten bleibt im tiefen Sinne sinnlos, die Opfer in einer leeren, vollkommen dunklen Zufälligkeit getroffen, ihre Seelen und Herzen aufgerissen. 

Als ob der Platz nicht schon genug Risse und Wunden hätte. Zur Erinnerung an den Terrorakt des Anis Amri im Dezember 2016 verläuft – künstlerisch eindrücklich gestaltet – ein Riss quer durch den Breitscheidplatz vor den Stufen der Gedächtniskirche. Aus dem Riss quillt eine goldüberzogene Legierung. So als käme Licht aus dem Riss hervor. Das ist die Hoffnung an diesem Platz: dass das Licht auch in den Wunden wohnt, dass Gottes Licht im Dunkeln da ist. Der 8. Juni 2022 ist ein dunkler Tag in der Geschichte dieser Stadt, so hat es die Regierende Bürgermeisterin von Berlin ausgedrückt. Und ja, wir wünschen und beten, dass es für die Opfer eines Tages wieder hell werden möge. 

Die Schulklasse ist unmittelbar nach der schrecklichen Amokfahrt in den Räumen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche betreut worden. Diese blaue Kirche hat in bester Weise etwas von einer Schutzhöhle, in der man der Welt draußen für Momente entkommen kann. In der Mitte über dem Altar hängt eine goldene Christusfigur: Sie breitet die Arme aus. Man kann hier still sein. Aber man kann auch schreien, Gott die Angst und die Verzweiflung entgegen schreien. Von Menschen, die am Mittwoch Zeuge der Amoktat wurden, hörte ich, dass sie die Schreie, die über Straße und Platz hallten, nicht vergessen können. Schreie und dann Stille. Stille und dann Schreie. Beides ist mit diesem Christus verbunden, der in dieser Kirche zuhause ist. Es ist der auferstandene Gekreuzigte: mit Wundmalen an der Hand. Er schrie laut am Kreuz. Und überwand den Tod, still. Der Vorhang zerriss, heißt es in der Bibel von dem Moment, in dem er starb. Aber der Riss ist kein Riss geblieben, das Licht seiner Auferstehung leuchtet daraus hervor. 

An diesem Ort zeigen sich die Risse der Geschichte dieser Stadt: Die Kriegsruine als ein Mahnmal. Der Riss vor den Stufen zum Gedenken. Die Schreie an diesem Tag. Und der Christus über dem Altar, der die Arme ausbreitet. Seine Hilfe brauchen wir. Sein Licht mitten in den Rissen unserer Tage.