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„Weil wir vom Kreuz alles Leben und alle Liebe verströmen und weitergeben können.“

Predigt von Bischof Christian Stäblein am Karfreitag

Liebe Gemeinde am Karfreitag,

wer die Kunstinstallation hier vorne schon kennt, weiß, dass – wenn sie in Betrieb ist – auf der Fläche hier vorne eine Art Discokugel zu sehen ist, Silber, glänzend, spiegelhaft, eine Anmutung in etwa auch wie die Kugel hier nebenan am Fernsehturm, auf ihr scheinend bei richtigem Lichteinfall ein großes Kreuz.

Eines, in dem sich die Welt sehen, spiegeln, gewissermaßen leuchten lassen kann, auch wenn die Erbauer des Fernsehturms das nun gewiss nicht wollten.

So ist das Leben. Nun ist, selbstverständlich, diese Kugel für den heutigen Tag abgestellt, wir haben sie gerade nur einen Moment gesehen, das mag genügen. Auch, weil dieser Tag diese Bedeutung irgendwie ohnehin in sich trägt: Wir spiegeln uns und diese Welt in der Geschichte, die wir gerade noch mal gehört haben, wir spiegeln und sehen uns im Kreuz. Das gilt sozusagen universell.

Das Drama dieser Welt – voller Gewalt und gewalttägig – wird da sichtbar. Wir können die Erdkugel drehen und wenden, wie wir wollen, wir stoßen immer wieder drauf. Und es gilt sehr speziell. Denn es ist dieser Jesus, der Jude, der Nahe und Nächste, der, in dem Gott ganz und gar ist und in umfassendster Weise, er ist es, in dem wir uns wieder erkennen, sein Kreuz, auch da können wir die Kugel drehen und wenden wie wir wollen, das Kreuz bleibt.

Mit besonderem Nachdruck geschieht dieses alles in den Worten, die Jesus am Kreuz spricht. Dreimal spricht er hier bei Johannes im Evangelium. Sehr spezielle Worte. Und doch zugleich Worte, in den wir uns alle, in denen wir die Menschheit sehen wie in einem Spiegel.

Mich dürstet. Das ist das vorletzte Wort Jesu am Kreuz. Wir dürfen, wir müssen annehmen, der Gekreuzigte hing an den von Nägeln durchstoßenen Händen, der Oberkörper dadurch nach vorne fallend. Die Kehle wird zugeschnürt, die Lunge abgeklemmt. Der Kreuzestod ist ein Erstickungstod, das Sterben kommt durch die Kehle, es ist lang und sehr grausam. Geschunden und drangsaliert dürstet ihn.

In ihm sehen wir den Durst der Welt. Den Lebensdurst der Sterbenden in den Schützengräben. Die, die plötzlich vom Tod in bombardierten Häusern überrascht werden. In Dnepro. Aber auch in Lwiw. Es dürstet sie, ganz konkret: nach Leben. Wir sehen den Durst der Welt, im Sudan, im Südsudan, wo das schreckliche Morden den Überlebenden das Leben austreibt. Es dürstet sie. Gerade dort in der Schönheit des Landes, wo die Menschheit womöglich ihren Ursprung hat.

Wir sehen uns und unser Leben in Jesu Wort. Wenn wir einen Sterbenden begleiten, der Sohn, der noch so viel Leben vor sich hatte, aber dann der Unfall. Die Schwester, die doch jünger war als man selbst. Aber dann der Krebs. Durst. Nach Träumen. Nach Leben. Nach Worten.

Nach einem Moment Feuchtigkeit auf den Lippen. Es ist ein universelles Wort, dieses Wort Jesu am Kreuz, es führt uns hinein in die tiefe Sehnsucht aller Leben. Und es ist ein spezielles Wort, denn es sagt der, der von sich sagt: Ich bin der Lebendige, wer von dem trinkt, was ich gebe, den wird nie mehr dürsten. Er ist die Quelle, der Brunnen. In ihm ist der, der das Leben schenkt und tränkt. Gott in diesem Menschen ganz nah, unendlich nah bis zum Schluss eben jenem Durst nach Leben.

Siehe, das ist deine Mutter, siehe, das ist dein Sohn. Das sind die Worte davor, die Jesus am Kreuz noch sagt. Das Vermächtnis. Nehmt Euch an. Neu an. Es ist etwas zutiefst Menschliches, Nahes, dass im Sterben noch etwas weitergegeben wird, Liebe neu ordnen, wirken soll. Die Kraft und die Liebe des Lebens sollen ja bleiben. Etwas wie Sinn auch. Es soll doch nicht umsonst gewesen sein.

Dein Eintreten für den Frieden. Dein Einsatz für die Menschenrechte. Deine Hingabe alle Tage. Das Haus, das Du gebaut. Die Kinder, denen Du Leben geschenkt hast. Seht, da geht es weiter. Es soll doch Sinn gehabt haben, weiter haben. All die Toten, die Unschuldigen, die, die helfen wollten. Die, die auf dem Festival Supernova nahe der Grenze in Israel helfen wollten und dabei selbst ihr Leben riskierten. Die Ärztinnen und Ärzte, die in den Trümmern von Gaza nach Leben suchen und ihres selber womöglich geben.

Wir drehen die Welt und sehen das Ringen um Sinn, um Liebe bis in den Tod. Seht, das ist universell. Und auch sehr besonders im Sterben Jesu, in dem ja Gott noch einmal ganz und so ganz anders ist. Er weist die Nächsten aneinander. Er hebt die Familienbande auf, macht aus Fremden Geschwister. Siehe, das ist jetzt dein Sohn, siehe, das ist jetzt deine Mutter. Siehe, der und die für immer Dein Nächster. Das schafft Sinn. Wenn denn einer ist in dieser Welt, dann dieser. Die ganze Menschheit eine Familie. Siehe, darin spiegeln wir uns und unser Leben an diesem Tag.

Und wer die Weltkugel dreht, sieht die noch immer Verlorenen, die niemanden haben, von niemandem gesehen werden. Ganz nah sind sie, müssen wir nur vor die Tür gehen. Und in der Ferne sind sie, im Jemen, in Mali. Fern und nah ist in unserer Welt sehr nahe beieinander.

Es ist vollbracht. Das ist das letzte Wort Jesu, wir werden es gleich noch hören im letzten Abschnitt, der gelesen wird. Danach fällt das Haupt und er stirbt. Es ist vollbracht. Das ist eine kühne Übersetzung von dem einen griechischen Wort, das da im Original steht und das sich leichter anders übersetzen ließe, nämlich: Es ist zu Ende. Es ist zu Ende. Wenn wir unser Leben heute im Kreuz spiegeln, dann doch wohl in diesem Satz. Es ist zu Ende.

Du weißt den Moment noch, als die Apparate abgeschaltet werden mussten, weil der Tod näher war als alles Lebensverlängernde. Dann hat sie ein letztes Mal ihren Atem verströmt.

Du weißt, was das Ende ist. Du erinnerst Dich, wie es ganz schnell ging, eine Sekunde nur, und der Kollege neben dir war weg, so schnell konntest Du gar nicht gucken. Es ist zu Ende.

Das ist der Punkt heute: Jesus geht das Leben ganz zu Ende. Gott mit ihm, in ihm. Bis in den Tod. Machen wir aus dem Karfreitag nicht zu früh ein Ostern, das wäre verkehrt, wenn auch naheliegend, den Tod klein zu machen. Nein, denn ganz bis ans Ende geht Gott. Ohne Abkürzung. Ohne optout.

All die Liebe, die durch dieses Leben geströmt, die geheilt, die versöhnt und verbunden, die für Aufbruch stand. Zu Ende. In diesem Leben wie in jedem. Und in diesem besonders, für alle Zeit einmalig.

Es ist zu Ende. Wir sehen es, wie wir uns in diesem Tag spiegeln: denn das gilt für uns alle. Es geht zu Ende. Mehr kann man nicht sagen, dass Gott das Leben kennt. Kennst Du das Ende nicht, was weißt du schon. Kindliches Glück, als es noch nicht so war. Als ich beim Lesen der Karfreitagserzählung noch vor die Tür des Klassenzimmers ging. Als Du zu klein warst, um beim Todeskampf der Großmutter dabei zu sein. Aber nun, vorbei.

Es ist vollbracht. Sicher, so lässt sich dieses eine griechische Wort, das da steht, eben auch übersetzen. Vollbracht. Und darin gewandelt, gewandelt von da an aller unser Tod. Weil darin vorweg genommen, wie es ist, wenn der Tod besiegt durch ihn.

Es gab eben deshalb keinen Weg daran vorbei, so sehr er darum gebeten hatte. Es gab nur den Weg hindurch. Gott ist ihn mitgegangen. Damit es vollbracht ist.

Gewiss, liebe Gemeinde, an dieser Stelle scheint es ganz abstrakt, scheinbar fern. Und doch sind wir nun all dem, was wir heute sehen im Kreuz am allernächsten. Weil von da eben der Lebensdurst gestillt wird wie er durch nichts und niemand sonst gestillt werden kann. Weil wir von da alles Leben und alle Liebe verströmen und weitergeben können.

Brauchst ja nichts mehr aufzuheben an Leben, nichts zurückzuhalten. Siehe, da ist deine Mutter, dein Sohn, deine Nächste. Siehe, da ist der Sinn. Brauchst ja nichts mehr sparen an Leben vor lauter Angst, Du bekämst nicht genug.

Siehe, da ist dein Ort, dein Platz, deine Aufgabe. Brauchst ja nicht mehr stumm sein, weil Du glaubst, Reden hätte doch keinen Wert. Siehe, da ist Dein Wort, Deine Liebe, Dein Gebet. Um Frieden. Für die Geschundenen. Für dich selbst. Natürlich, auch das.

Brauchst den Weg daran vorbei nicht mehr suchen, nicht mehr gehen, kannst mit weniger Angst sein, vielleicht nicht ohne, aber weniger. Das ist vollbracht, alles hat sich umgedreht. Lasst es uns sagen, zeigen, dieses Kreuz, in dem wir das sehen. Sein Kreuz.

Man hat mich gefragt, warum es hier grün ist. Aber das ist ja jetzt klar. Weil es an den Baum des Lebens führt, wieder, endlich. Weil es das, weil er das vollbringt. Darum dreht sich die Welt. Daraus leben wir. Seht. Amen.