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Predigt zu 1. Petrus 1,13-21 von Präses Harald Geywitz in der Stadtkirche St. Peter und Paul

"Was unser Herz an Liebe geschenkt bekommen hat muss auch im Streit spürbar sein."

Im Kirchenkreis Prignitz findet seit dem 18. Februar 2024 eine kreiskirchliche Gottesdienstreihe zum Thema: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht“ statt.

In dieser Gottesdienstreihe werden viele Fragen gestellt, wie z.B.: Wie ist das eigentlich mit der Meinungsfreiheit? Was „wird man doch noch sagen dürfen“ und wo beginnt menschenverachtende Rede? Wie kann Streit gelingen, wo müssen wir im Namen Gottes Haltung zeigen? Und was würde Jesus eigentlich dazu sagen?

In den Gottesdiensten der Passionszeit wird anhand biblischer Texte diesen Fragen nachgegangen. Der Kirchenkreis hat dazu Gäste, die in verschiedenen Kirchen predigen, dazu eingeladen.

Am 3. März 2024 war unser Präses der Landessynode Harald Geywitz als Prediger zu Gast in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Wusterhausen. Hier lesen Sie die Predigt:

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Geschwister, liebe Gemeinde heute hier in Wusterhausen,

ganz klipp und klar sagt uns der Predigttext, wo es lang geht. Nüchtern, mit klarem Verstand unterwegs, so sollen wir hoffen. Heilig sollen wir sein in unserem ganzen Tun, also ungetrennt von Gott, ohne all das Oberflächliche im Leben auskommen, das uns doch all zu häufig mehr beschäftigt, als es sollte und uns wahrscheinlich guttut.

Der Petrusbrief macht zugleich deutlich, auf welchem Grund wir stehen: es ist Jesus Christus, der für uns gestorben ist und uns erlöst hat. Oder wie es bei Johannes heißt: Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Durch ihn, durch Jesus Christus, glauben wir an Gott und so wird Glaube und Hoffnung eins. Da küssen sich Himmel und Erde.

Der Grund, auf dem wir stehen, so kann man es sagen, ist die Hinwendung zu Jesus und durch ihn zu Gott.

Jesus ist aber nicht nur der Mensch und Gottes Sohn, zu dem wir uns hinwenden und anschauen. Jesus steht nicht nur schön gemalt auf Altartafeln oder schmückt die Kinderbibel. Tatsächlich ist Jesus dort nur dargestellt, weil er echte Spuren hinterlassen hat, weil er Wege gegangen ist und in unserer Welt gewirkt hat. Bei allem Wirken war sein Aufruf immer klar: schaut was Ihr tun könnt. Blickt nicht zurück, sondern brecht auf und folgt mir nach.

Gar nicht so einfach, das mit dem Nachfolgen. Jesus hat das Liebesgebot des ersten Testaments ganz nach vorne gestellt und die Latte recht hoch gelegt. Davon hören wir immer wieder:

- Jesus war bei den Armen und Kranken – schaffen wir es aus, Armen und Kranken zu helfen? Armut und Krankheit riecht nicht immer gut, macht Menschen unfreundlich, ungerecht. Wie ernst meine ich es mit der Nachfolge? Sehen meine Augen stehts auf den Herrn? (an diesem Sonntag Oculi - Occuli mei semper ad Dominum)

- In Corona-Zeiten erinnere ich mich an die teils wüste Beschimpfung von Menschen, die einfach Angst vor Impfung hatten. Mancher dachte und schimpfte auch: Euretwegen müssen meine Kinder weiterhin zuhause bleiben und ich kann meine Mutter nicht im Pflegeheim besuchen, weil Ihr so doof seid! Bei wem saß Jesus und scherte sich kein Deut darum, ob ihn deshalb manche schräge anschauten? Wie ernst meine ich es mit der Nachfolge? Sehen meine Augen stehts auf den Herrn?

- Wenn die Kollegin, die irgendwie türkisch aussieht, an der Ampel steht und von einem ihr gänzlich fremden Mann angeblafft wird „Du bist Abschaum“, findest Du dann Worte, wenn sie sprachlos ist? Bist Du die Stimme derjenigen, die von der Gesellschaft, in der sie nun gerade leben, für anders gehalten werden? Wie ernst meine ich es mit der Nachfolge? Sehen meine Augen stehts auf den Herrn?

- Wenn ich müde im Bus sitze und höre schlimme, menschenfeindliche Witze über „die Ausländer“, kann ich mich aufraffen zu widersprechen? Jesus war friedlich, Liebesgebot und so, ganz klar – aber es gibt ein paar Erzählungen, in denen er sehr klare Worte fand und aus der Haut fahren konnte, wenn er erlebte, wie Menschen ungerecht behandelt werden. Wie ernst meine ich es mit der Nachfolge? Sehen meine Augen stehts auf den Herrn?

Ich wette, Ihnen sind auch ein paar Beispiel eingefallen. Augenblicke, die man beobachte oder auch selbst erlebt hat und denkt: warum hast Du nicht – oder (manchmal ist das ja etwas leichter): warum hat der denn nicht… Es ist gut, darüber nachzudenken. Und es ist ebenso gut, dabei zu wissen, dass die Mahnung ja nicht umsonst in der Bibel steht. Wisst Ihr wirklich, worauf Ihr Euch da mit dem Glauben an Gott durch Jesus Christus eingelassen habt, wisst Ihr, wie anders ihr euch ausrichten sollt? Es ist ein Grund gelegt, von dort aus könnt ihr euch ins Neue wagen, den neuen Wegen vertrauen, traut euch. Aber wie gesagt, die Mahnung war wohl schon immer nötig und steht auch heute noch vor unseren Augen und ist des Nachdenkens wert.

Das ist der Grund, auf dem wir Christenmenschen stehen und mit Glaube und Hoffnung in unser Leben in unsere Welt hineingehen. Wie sieht es nun in unserer Welt, in unserer Gesellschaft und wie wollen wir zusammen leben, zusammen streiten und dann unser aller Leben zusammen gestalten?

Ausgangspunkt für uns als Christinnen und Christen ist: wir erkennen im anderen Gottes Ebenbild – unabhängig vom jeweiligen Glauben sind wir alle Gottes Kinder. Das ist unsere Motivation, die Würde jedes Menschen mit aller Kraft zu schützen, egal welcher Herkunft, welcher Nationalität, welcher Religion, welchen Geschlechts. Das ist der Anspruch, der uns mit vielen verbindet und der auf keinen Fall bloßer Appell sein darf. Wir müssen jeder für sich, aber auch gemeinsam in unserer Gesellschaft dafür einstehen. Die besten Voraussetzungen für den Schutz der Würde jedes Menschen bietet nach meinem Dafürhalten ein Staat, in dem Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fest verankert sind.

Die evangelische Kirche steht aus gutem biblischen Zeugnis ein für Weltoffenheit, den Blick für die Schwachen und die Geschwächten in unserer Gesellschaft und in der Welt und für die Bewahrung der Schöpfung. Das sind ureigene christliche Überzeugungen, für uns sind es die Wegmarken auf unserem Weg der Nachfolge.

Wir sollen ja nicht zu viel zurückblicken, doch beim Thema Demokratie und Rechtsstaatlichkeit lohnt es sich um der Wahrheit mit uns selbst willen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit war beileibe nicht schon immer die Sache unserer Kirche. Zwar blicken wir auf innerkirchliche Wahlen bereits im 19. Jahrhundert, aber der demokratische Staat der Weimarer Republik wurde von der Evangelischen Kirche in großer Mehrheit abgelehnt. Es war ein mühsamer Lernprozess nach 1945, der uns abbrachte von dieser Sünde. Zu Zeiten der DDR fanden die einzig freien Wahlen in den Kirchen statt, verbunden mit dem Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Kirchen waren in den achtziger Jahren vielfach ein Ort des gemeinsamen Eintretens für Demokratie und eine lebenswerte Zukunft. Sie waren Räume des gemeinsamen Nachdenkens und Streitens und haben dadurch die friedliche Revolution 1989 beflügelt.

Weil wir es als Kirche so mühsam gelernt haben, müssen wir es heute umso entschiedener sagen: Demokratie und Rechtsstaat sind für uns nicht verhandelbar. Das sagen wir nicht, um irgendjemand zu gefallen. Sondern im Bewusstsein klaren biblischen Zeugnisses und in der Nachfolge desjenigen, der Gottes Liebesbotschaft an die Menschen erneuert hat.

Zu denjenigen, die Demokratie und Rechtsstaat aktiv bekämpfen, gehört mittlerweile die AfD in unheiliger Verwobenheit mit Rechtsextremen. Sie folgen dem alten Motiv: Schuld sind immer die anderen – die anders aussehen, die anders denken, die anders glauben, die anders leben. Dies gefährdet unser friedliches Zusammenleben und hat unsere Ungeduld, unseren Widerspruch und ja, auch unseren Widerstand verdient.

Wir wissen also, auf welchem Grund wir stehen. Wir wissen um unseren Auftrag, allen Gotteskindern (also allen Menschen) in Liebe zu begegnen. Wir sind der Überzeugung, Demokratie und Rechtsstaat helfen uns dabei. Das alles wissen wir und nun ist die entscheidende Frage: wie gelingt es uns, darin zu bleiben und zu wachsen?

Es braucht erstens Menschen. Menschen, die sich engagieren. Die mitmachen wollen, die gestalten können und sich den Mühen des Engagements auf allen Ebene unterziehen. Ich bin allen Bürgerinnen und Bürgern dankbar, die sich engagieren – im Gemeindekirchenrat oder wenn sie sich um ein politisches Mandat bewerben und dafür Zeit, Kraft und Leidenschaft investieren. Ihre Bereitschaft zur Mitwirkung und ihr Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben Respekt und Wertschätzung verdient. Wenn sie gerade in der Phase der Kandidatur häufig Hass und Hetze erfahren, müssen wir in Liebe an ihrer Seite stehen und sie unterstützen.

Es braucht zweitens Gemeinsamkeit. Wir erleben große Versammlungen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und sind dankbar für die Gemeinschaft von vielen Menschen, die sonst vieles trennen mag. Es ist wichtig, den gemeinsamen Grund, auf dem wir stehen wahrzunehmen - abseits von unterschiedlichen Motivationen. Gemeinsam finden wir einen Grund, der aus ganz vielen verschiedenen Motiven entsteht und uns doch gemeinsam trägt.

Drittens brauchen wir Streit. Ich bin in einem Haushalt mit immerhin drei Geschwistern aufgewachsen. Ich weiß, das mit dem Streit ist anstrengend, aber es hat auch etwas Befreiendes und etwas Einendes. #Zusammenstreiten, darum geht es. Können wir das überhaupt noch? Kennen wir Grenzen des Sagbaren und Unterstellbaren? Haben wir genügend Respekt vor dem anderen? Bekommen wir #StreitohneHass hin?

Im Ordinationsvorhalt, den ich mitunter den Pfarrerinnen und Pfarrer vortrage heißt es: gebt keinen verloren. Ich bewundere das Versprechen, das die meist jungen Menschen mit ihrem „Ja“ dazu abgeben, immer sehr. Wirklich keinen verloren geben? Uns fällt bestimmt allen jemand ein, bei dem wir uns das kaum vorstellen können, ihn eben nicht aufzugeben, sondern endlich ziehen zu lassen.

Damit kein Missverständnis aufkommt: nicht verloren geben ist nicht dasselbe wie alles gut finden, was der andere sagt, meint oder tut. Nicht-verloren-geben kann auch heißen, dem anderen klar und deutlich seine Meinung zu sagen und deutlich zu machen, wo Grenzen liegen. Doch eben in einer Art und Weise, die unseren Grund, unseren Glauben und unsere Hoffnung nicht unglaubwürdig machen. Was unser Herz an Liebe geschenkt bekommen hat muss auch im Streit spürbar sein, trotz Klarheit und manchmal Härte der Auseinandersetzung. Denn nur wenn wir wieder mehr lernen zusammen zu streiten, um zusammen gestalten zu können, sind wir auf dem richtigen Weg. Dem Weg, um den wir immer wieder ringen und dabei immer hoffen, unsere Augen mögen auf den Herrn gerichtet bleiben.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.