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„Ohne mehr Menschen, die Gedankentiefe und Weitblick eintragen, bekommen wir ein Problem"

Interview mit Generalsuperintendentin Theresa Rinecker in die Neue Lausitz

"Die Menschen haben eine Sehnsucht, dass die Gräben nicht tiefer werden" - Interview mit Generalsuperintendentin Theresa Rinecker 

Die Nachrichten von Krieg und Zerstörung haben nicht nur Angst verbreitet. Sie haben auch einen neuen Blick auf die eigene Umgebung eröffnet, ist die Theologin Theresa Rinecker überzeugt.

Frau Rinecker, was sagt uns die Weihnachtsgeschichte über den Strukturwandel? 
Das ist doch der größte denkbare Strukturwandel, wenn Gott Mensch wird. Wenn die Transzendenz einbricht in unsere Lebenswelt. Wenn das nicht Dinge in Bewegung bringt, was denn dann? 

Die Lausitz hat in diesem Jahr einige Zeitenwenden erlebt, allen voran im Verhältnis zur Energie. Gab es auch eine Zeitenwende im sozialen Miteinander? 
Ganz bestimmt. Nicht zuletzt durch diesen schrecklichen Krieg kam die Frage, wie gerecht es bei uns in Europa zugeht. Und was der Preis für unseren Wohlstand ist. Wir wissen eigentlich schon länger, dass unser Wohlstand zu einem Teil auf dem Rücken anderer entsteht. Und dass diese Orientierung an Wachstum eine Grenze hat, wussten wir auch. Dass der Kampf um Ressourcen jetzt mit einem blutigen Krieg in Europa ausgetragen wird, hätten wir nie erwartet. 

Das heißt, der Krieg eröffnet uns auf brutale Weise eine neue Perspektive? 
Sicher bewirken die Bilder in den Nachrichten, dass wir neben dem tiefen Entsetzen und Mitgefühl auf das schauen, was wir haben. Dadurch erkennen wir auch, was möglich ist und was wir beeinflussen können. Das hat auch die Hilfe inspiriert, die viele Lausitzerinnen und Lausitzer für die Kriegsopfer leisten. Das ist bei all den Sorgen um die Entwicklung der Region sind wir dankbar, dass und wie wir Weihnachten feiern können. 

Die Kirche steckt auch in der Transformation. Wo stehen Sie da? 
Wir müssen weg kommen von einer reinen Angebotskirche hin zu einer Kirche, die Menschen bei ihrer spirituellen Suche begleitet. Viele Menschen in der Lausitz sehen sich nicht als kirchenzugehörig. Aber die Frage nach dem Sinn, dem Platz im Leben treibt sehr viel mehr Menschen um. Anders gesagt, ist das die Frage: Was macht mich zu einem Gemeinschaftsmenschen, obwohl ich doch auch ein besonderes Individuum sein will. Das ist für mich eine geistliche Fragestellung. Und die habe ich in diesem Jahr öfter gehört als zuvor. 

Die Nachfrage nach Sinnangeboten ist groß, die Konkurrenz aber auch. Da kann man auch einen Achtsamkeitskurs machen, statt einer Religion beizutreten. 
Achtsamkeit ein sehr hoher Wert. Aber im Unterschied zu Wellness-Angeboten hat Religion doch eine andere Qualität. Religion ist auch in Krisenzeiten Glaube und Hoffnung. Ich als Christin bin überzeugt, dass eine Energie von Gott ausgeht. Dass Gott sich in Raum und Zeit hinein begibt und Gestalt annimmt, das ist eine Bewegung, die von außen kommt. Die muss ich nicht aus mir selbst generieren. 

Wie erreichen Sie die Lausitzerinnen und Lausitzer, die sich nicht ohnehin der Kirche verbunden fühlen?  
Was dabei hilft, sind Angebote, die besonders sind. Neulich war ich bei einem Skatabend in einer Kirchgemeinde in Lübben. Das hatte für mich Neuigkeitswert. Da trifft man Menschen, da wird gebetet, gesungen und Skat gespielt. Das macht Freude, hat aber eine Ernsthaftigkeit, die im Alltag auch gut tut. Nicht zuletzt hatten wir in diesem Jahr unseren Lausitz-Kirchentag, der hat Kirche nach außen sichtbar gemacht. Es waren viele tausend Besucher dabei. Events werden immer wichtiger für uns. 

Worauf kommt es dieses Weihnachten seelsorgerisch an? 
Ich denke, es geht um Heilung und um das Verbinden von Wunden. Wir müssen wieder miteinander ins Gespräch kommen. Die Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg haben nach Statements und Haltung verlangt. Da wurde fast jeder gefragt: Wie stehst Du dazu? Was ist Deine Meinung? Es ist auch wichtig, dazu eine Meinung zu haben. Davor können wir uns nicht drücken. Das reicht aber auf Dauer nicht. Es geht auch darum, verschiedene Haltungen zusammen zu bringen. Sich also aufeinander zuzubewegen, um Zukunft gestalten zu können. 

Wie bewegt man sich aufeinander zu in einer Strukturwandel-Region, wo nicht alle begeistert sind, dass sich Nachbarschaften durch Zuzug verändern? 
Indem man eine Haltung kultiviert, die die Identität einer Region mit Entwicklung versöhnen kann. Die Besonderheit eines Dorfes muss erhalten werden, statt dass sich überall Wohnsiedlungen mit Einheitscharakter ausbreiten. So entsteht gesundes Selbstbewusstsein. Die Lausitz ist in vielem nicht Peripherie, sondern Herzregion. Wir sind hier an der Schnittstelle zu Polen und Tschechien, das macht die Lausitz besonders. Zugleich brauchen wir Anschluss an den Diskurs, um die demokratische Grundkultur zu erhalten. Dazu braucht es Transfer durch Zuzügler und Pendler. Ohne mehr Menschen, die Gedankentiefe und Weitblick eintragen, bekommen wir ein Problem. Allein mit Identität bleibt die Lausitz auf der Strecke. Umgekehrt bedeutet das: Wer dazukommt, muss die Traditionen respektieren, die es hier gibt. 

Die Frage nach der Identität stellt sich ja schon, wenn ein Windrad vors Dorf soll. 
Mir scheint, das wird nicht mehr so eng gesehen. Wichtig ist die lokale Beteiligung. Die Menschen haben eine Sehnsucht, dass die Gräben nicht tiefer werden. Das Wort „Energieregion“ gefällt mir, denn das knüpft auf positive Weise an die Tradition an. Brandenburg ermöglicht demnächst Photovoltaik auf Kirchendächern, damit leisten unsere Gebäude einen Beitrag zur CO2-freien Energiegewinnung. Wir haben schon 2020 als Landeskirche ein Klimagesetz verabschiedet und damit einen internen CO2-Preis in den Gemeinden eingeführt. Davon lebt ja unsere Gesellschaft: Dass etwas neu wird und sich entwickelt. Das heißt, der Zweifel hat nicht das letzte Wort. Wo sich etwas im Sinne der Gemeinschaft transformiert, hat das etwas Wunderbares. 

Aus der Zeitung Neue Lausitz