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Gottesdienst mit Erklärung der Kirchenleitung zur Tätigkeit Eckart Giebelers

Predigt von Bischof Christian Stäblein und Erklärung der Kirchenleitung

Liebe Gemeinde, vor allem: alle, die Ihr gekommen seid, die Ihr von dem Verrat Eckart Giebelers betroffen ward, seid, die Ihr dem ausgeliefert ward, darunter gelitten, davon verfolgt, darin und dadurch in tiefster Weise verletzt!

Die biblischen Worte vom Weltgericht wiegen schwer, sind schwer. Gerade weil sie nicht schwierig zu verstehen sind. Im Grunde sind sie einfach. Unser Tun und unser Lassen sind auf Christus bezogen. Genährt. Nicht genährt. Gekleidet. Nicht gekleidet. Aufgenommen. Nicht aufgenommen. Was wir tun, hat Folgen. Das wiegt schwer. Aber ist nicht schwer zu verstehen.

Die kirchlichen Worte, die heute zu sagen sind, wiegen schwer, ja sind anscheinend schwer auszusprechen, sonst hätten wir nicht über drei Jahrzehnte dafür gebraucht. Obwohl das, worum es geht, auf eine entsetzliche Weise einfach ist. Verrat. Verrat wiegt schwer. So sehr, dass er nicht wirklich in das Redeschema des Gleichnisses von Jesus passt. Besucht, nicht besucht heißt es da. Aber in unserem Fall, im Fall Eckart Giebeler gilt: Besucht, aber verraten. Besucht und eben darin und damit verraten. Das ist einerseits entsetzlich einfach. Und es ist andererseits nicht zu begreifen. So ist das mit Verrat. Einfach auf seine Art. Und unerträglich zugleich.

Die Kirchenleitung sieht sich gegenüber allen in der Verantwortung, die von dem Verrat Eckart Giebelers als politisch Inhaftierte unmittelbar und mittelbar getroffen wurden. So heißt es am Anfang der Erklärung, die wir gerade verlesen haben. Die heute Leitenden tragen und bejahen ihre Verantwortung innerhalb der Institution der Evangelischen Kirche dafür, dass die Zeugnisse des Erlebten erhalten bleiben. Dass sie einen angemessenen Ort im Gedächtnis dieser Kirche und gesellschaftlich haben. Heißt es gegen Ende der heutigen Erklärung. Die heute Leitenden sind hier. Ich sage das in ihrem Namen. Ich sage das als Bischof dieser Kirche.

Ich sage das, weil es heute darauf ankommen wird, dass wir nicht herum schwurbeln, dass wir uns nicht in homiletische Poesie flüchten, nicht mit Floskeln Nebel werfen. Und ja auch, dass wir uns nicht in allgemeinen politischen Betrachtungen verlieren, nicht „ja, aber, ja aber die Zeit“ erklären. Nicht meinen, wir könnten so viel sagen, dass wir darin dann gar nichts sagen.  Weil wir Sorge tragen, es würde der Stab über der Kirche in der DDR gebrochen. Oder müsse eben davor bewahrt werden. All das mag sein für diese oder jenen eine gewichtige Rolle spielen. Aber ist heute nicht dran.

Was heute zu sagen ist, findet sich in der Sprachform, die die Bibel, die Jesus uns mit seinem Gleichnis vormacht: In eurer Zeit wurde in Gefängnissen besucht und verraten, bespitzelt und weiter getragen an die Stasi. Von einem, der diesen Dienst auch im Auftrag dieser Kirche getan hat. Von Eckart Giebeler. Wir wissen das schon lange. Aber wir haben es nicht geschafft, das laut zu sagen. Uns dieser Verantwortung zu stellen. Wir haben es lange nicht geschafft, Euch, die Ihr das ertragen musstet, die Ihr darunter gelitten habt, Ihr, deren Leben hätte anders sein können und anders gewesen wäre ohne diesen Verrat, wir haben es zu lange nicht geschafft, das auszusprechen, zu sehen, zu hören. Wir haben es lange, zu lange nicht geschafft, mit allen, die davon betroffen waren, Worte zu teilen. Und Tränen. Ich danke Ihnen und Euch, dass Ihr das trotzdem getan habt, dass Ihr Euch vor knapp einem Jahr habt einladen lassen zum Gespräch, dass Ihr gekommen seid, geschrieben habt, da ward und erzählt habt. Worte geteilt habt, Verzweiflung geteilt habt, Traurigkeit, Wut, Fragen, Schmerzen. Das also kann und will ich heute auch sagen: Ihr habt uns besucht, Ihr habt mich besucht – und mit mir Menschen der heute Leitenden. Euer Mund war nicht verschlossen, Euer Ohr nicht. Eure Hand war ausgestreckt. Danke im Namen dieser Kirche. Was Ihr getan habt, war nicht einfach. Aber wiegt jetzt.  

Liebe Geschwister, liebe Gemeinde heute, in der biblischen Geschichte vom Weltgericht herrscht viel nicht Verstehen. Wann wie wo haben wir falsch gemacht, haben dich, Christus, nicht gesehen, nicht erkannt, verraten. Dieses Unverständige erstaunt immer wieder, weil man als Hörender doch denkt: Mensch, jetzt ist es alles so deutlich, so klar, wie kann man da immer noch fragen. Stellen die sich blöd?! Und doch, na klar, man ist gerade in diesem Fragen und Verunklaren mitten bei uns. Denn so wie die Umstehenden in dem Gleichnis nachfragen, man ahnt es – „Wieso, wo warst denn du, dass wir dich nicht gesehen haben? Und vermutlich hinterher schieben möchten: Aber wie hätten wir das wissen sollen? Und wie hätten wir dich da kleiden können? Oder nähren? Es waren ja so viele und wir mussten ja aufteilen und wir waren auch vielmehr mit anderen beschäftigt, mit großer Organisation und mit uns und mit der geschichtlichen Stunde und es wäre ja auch gefährlich gewesen für uns und das solltest du doch wissen, Christus, wie kannst du uns das also vorwerfen jetzt, das verstehen wir nicht.“

So wie wir es von denen in der Geschichte ahnen, weil wir es ja selbst sind, liebe Geschwister, so klingt es auch in unseren Ohren und ist womöglich oft genug über unsere Lippen gekommen. „Wie sollten wir Verantwortung übernehmen, wo er doch gar nicht bei uns angestellt war.“ – „Und wir ja auch viel später geboren sind und ich doch auch aus dem Westen und wer ist eigentlich wir und wer sind die und ist nicht überhaupt niemand zu Schaden gekommen“ – ha! Verrat! Dieser Satz besonders, dieser Satz, es sei keiner zu Schaden gekommen, gehört zu den Schlimmsten unter den Verrat-Sätzen. Da ist die Wahrheit schon verraten und der Christus und alle. Aber die Sünde maskiert sich stets in eingängigster Weise und da, wo sie benannt werden soll und wir sie benennen wollen, da ist es nicht anders. Oft genug geht man da näher und näher ran und dann löst sich scheinbar alles in kleinste Erklärungen auf und „es war ja so und es hatte ja alles seine Gründe und seine Ausreden und Einreden“, dahinein löst es sich scheinbar auf.

Das ist, liebe Frau Subklew-Jeutner, Ihr kaum in angemessene Worte zu bringendes Verdienst, für das die Kirchenleitung und die Kirche Ihnen zu größtem Dank verpflichtet ist. Wissenschaftlich haben Sie den Fall Giebeler und die Verstrickungen und auch das Versagen der Kirche aufgearbeitet – die Nähe und die Wissenschaftlichkeit haben sich nicht gegeneinander aufgehoben, hinter Hunderten von Protokollen und Aussagen und Interviews und in allen noch mehr Punkten und Details ist nicht das Bild verschwunden, nicht verflüchtigt. Sondern es ist immer klarer geworden, so klar wie die biblischen Geschichte. Das war nicht leicht. Aber es wiegt für uns. Danke dafür im Namen dieser Kirche.

Verstecke sich niemand in der Ausrede des vorgeblichen Unverständnisses – „wir wussten ja nicht, König, wir ahnten ja gar nicht, Christus.“ Verstecke sich auch niemand in falschem Wir. Heute gilt nur ich und du, wir und sie. Und machen wir also aus allem Verstehen erst recht keine Ausreden – „sieh, Christus, sieh doch mal die Zwänge und die guten Vorsätze und die Zeit, sieh doch, die Zeit.“ – Geht weg von mir, ist des Königs Antwort darauf in der Geschichte, geht weg von mir.

Warum?

Weil so spät und so nachträglich - und natürlich ohne etwas entschuldigen zu können. Das kann ich sowieso nicht und wieder gut machen auch nicht, das müssen wir, das muss ich deutlich sagen, dass wir das gewiss und natürlich nicht können. Aber das will ja auch gar keiner von Ihnen, die Sie betroffen und verletzt sind, darum geht es ja gar nicht -, also, weil so spät und so nachträglich dann immer noch nicht das geschehen und gesagt ist, worauf es ankommt. Worauf? Darauf: Ich sehe dich. Ich sehe den Verrat. Das Versagen. Ich sage es. Ich höre es. Ich höre es im Namen derer, die verantwortlich waren. Und es ist meine Verantwortung, es heute zu hören. Heute zu sagen. Heute zu teilen. Heute die Tränen und die Verletzungen und den Schmerz zu teilen. Und dafür zu sorgen, dass das zum Gedächtnis dieser Kirche gehört, das Nicht-vergessen wie das Lernen daraus. Das Lernen, wie aus vorgeschobenen Gründen Legitimationen fürs Entscheiden oder Nicht-Entscheiden wurden. Und das Lernen aus den tatsächlichen Abgründen. Und den systematischen Verstrickungen. Und den persönlichen Verfehlungen. Und den Fehlentscheidungen, die daraus folgten. Als wir vor knapp einem Jahr zusammen saßen, ist mir das noch klarer als durch jede Lektüre geworden. Es ist unsere, meine Aufgabe, dass wir diesen Schmerz spüren, diese Tränen teilen und diese Verantwortung nehmen, dass das geschieht. Es gibt keinen Weg der Kirche an diesem Schmerz vorbei. Besucht. Nicht besucht. Gehört, nicht gehört. Geteilt, nicht geteilt. Anerkannt. Nicht anerkannt. Es gibt nichts Drittes in der Geschichte Jesu.

Aber es gibt einen Dritten. Aber ja, den gibt es. Christus. Und auch, wenn wir den Eindruck haben, wir wissen nicht, wo wir ihn getroffen haben. Er trifft uns, gerade da, wo Versagen und Schuld elend lastet und Verantwortung dran ist. Er trifft uns, mich.

Und so sehr wir verpflichtet sind, menschlich zu urteilen, zu unterscheiden, zu benennen, klar zu benennen und zu verurteilen. Er richtet anders. Das, gerade das befreit uns zu unserer Klarheit. Gerade deshalb müssen von uns keine frommen Soßen ausgegossen, keine „Ja, abers“ geredet und keine vermeintlichen Einordnungen in Dinge, wie sie nun mal waren oder so, gesucht werden. Christus ist da. Und es ist ganz klar, wo er ist, wo er offenbar wird. Im Teilen der Tränen. Im Teilen der Schmerzen. Im Benennen des Verrats. In der Begegnung mit Euch. Das wiegt für uns. Dieser Moment, wo Du sagst: und dann war da dieser Mann. Und er hat mich verraten. Und ich sage für diese Kirche. Ja, so war es. Und du sagst: Ja, so war es. Und das wiegt schwer. So sind wir, so bin ich da. Wartend, rufend. Komm, Christus, komm. – Amen.

Die Erklärung der Kirchenleitung können Sie hier nachlesen.