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Wenn Kinder Eltern pflegen

Ein Leben im Schatten: So nehmen Familienhelferinnen oft Kinder und Jugendliche wahr, die ihre kranken Eltern mitpflegen. Beraterinnen versuchen, eine Traumatisierung zu verhindern: Rund 500.000 Minderjährige sind als pflegende Angehörige gefordert.

Köln, Berlin (epd). Manchmal sind die Kinder wie unsichtbar. Sie tauchen im Beratungsgespräch nicht auf, sind gerade draußen oder einkaufen. Aber Hannelore Lenze-Walter hat dafür feine Antennen. „Da liegt in der Ecke ein Schulranzen oder ein Skateboard, das fällt mir sofort auf“, sagt die Beraterin der Pflegeberatung compass aus Köln. Dann tastet sie sich im Gespräch vor, um herauszufinden, in welchem Umfang die Kinder in die Pflege von kranken Eltern oder pflegebedürftigen Geschwistern eingespannt sind. „Da ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt sie: „Weder den Eltern noch den Kindern ist oft bewusst, wie belastend die Situation für Minderjährige ist.“

 

Rund 500.000 Kinder und Jugendliche sind laut Bundesfamilienministerium mit der Pflege von Elternteilen, Geschwistern oder Großeltern betraut. Das entspricht statistisch gesehen ein bis zwei Kinder je Schulklasse.

Die Aufgaben der sogenannten „young carer“ reichen von einmal die Woche für Oma einkaufen gehen über Füttern der krebskranken Mutter und der Daueraufsicht eines behinderten Bruders bis Kochen, Waschen und Putzen der Wohnung. „Es gibt viele Konstellationen, in denen Kinder pflegen“, sagt Lenze-Walter.
Inwieweit die Kinder sich durch die Pflegeaufgaben belastet fühlen, hängt davon ab, welche Aufgaben sie wie lange übernehmen, wie die Beziehung zwischen dem Kind und den zu pflegenden Personen vor der Erkrankung war - und ob ihre Mithilfe vom Umfeld gesehen und anerkannt wird. Dazu bietet compass die Begleitung an, um mit der Familie Lösungen für die Kinder und Jugendlichen zu erreichen. „Da braucht es mitunter viel Geduld“, sagt Lenze-Walter, „denn manche Familie will zunächst keine Hilfe annehmen.“
Ähnliche Erfahrungen machte Gabriele Tammen-Parr von der Online-Beratungsstelle „echt unersetzlich“, die vom Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte getragen wird. Gerade in der Corona-Pandemie hätten sich manche Familien regelrecht abgeschottet, um ein krankes Familienmitglied vor Ansteckung zu schützen.

„Damit führen die Kinder, die in die Pflege eingebunden sind, ein Schattendasein“, sagt Tammen-Parr.
Bei „echt unersetzlich“ können die Jugendlichen bei Bedarf anonym bleiben - egal, wie lange die Beratung dauert, selbst über Monate. Denn manche haben Angst, dass sie von ihren Eltern getrennt werden, etwa wenn ein Elternteil depressiv ist und nicht mehr aufsteht oder alkoholkrank ist. „Wenn sich die Jugendlichen bei uns melden, ist das oft für sie eine sehr belastende Situation“, sagt Tammen-Parr. Auf Wunsch besucht ihr Team die Familien zu Hause. Während der Corona-Pandemie lud eine Kollegin zur „Spazierberatung“ ein, um mit den pflegenden Jugendlichen auf einem gemeinsamen Spaziergang die individuelle Situation zu besprechen.

„Es ist ja zunächst natürlich, dass Kinder helfen und unterstützen, wenn ein Elternteil krank wird“, sagt sie: „Schwierig wird es dann, wenn die Grenze überschritten wird und die Kinder zum Beispiel den Haushalt fast alleine regeln.“

Dass nicht selten bei den Kindern wie bei den Erwachsenen in der belastenden Situation unterschwellig Schuldgefühle mitschwingen, erlebt Anita Zimmermann immer wieder. Sie begleitet bei der psychosozialen Krebsberatungsstelle Flüsterpost Kinder, in deren Familien ein Mitglied chronisch krank ist oder Krebs hat. „Es ist wichtig, auch den Kindern mögliche Schuldgefühle zu nehmen, sie aktiv darauf anzusprechen“, sagt sie. Wichtig sei, dass die Kinder verstünden, dass sie für die Erkrankung keine Verantwortung tragen. „Wenn das nicht geschieht, besteht die Gefahr einer Traumatisierung“, sagt Zimmermann.

Von Christina Denz (epd)

 

epd-Service


 

Internet
Informationen über "compass": 
Informationen über "echt unersetzlich": u.epd.de/1xbd
Informationen über den Verein "Flüsterpost": u.epd.de/1xbe