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"Intoleranz, Antisemitismus, Diffamierung und Ausgrenzung erfordern eine klare Position"

Interview: Bischof Christian Stäblein spricht über die Aufgabe der Kirche, die Notwendigkeit von harten Debatten – und deren Grenzen

Bischof Christian Stäblein steht vor einem winterlichen Baum und dem Turm des Alexanderplatzes im Hintergrund

Wie soll die Kirche mit dem Corona-Protest umgehen? Gibt es laute und leise Opfer? Und was ist mit dem Missbrauch von Symbolen beim Protest gegen Impfpflicht oder Coronamaßnahmen, etwa dem Judenstern? Im Interview mit Amet Bick, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Landeskirche-Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), gibt Bischof Christian Stäblein Antworten.

Amet Bick: Es gibt Protest gegen die Maßnahmen, die gegen Corona ergriffen werden. Man hat den Eindruck, eine Minderheit radikalisiert sich gerade. Teilen Sie diesen Eindruck?

Christian Stäblein: Ja, ich teile diesen Eindruck. Und mir macht das Sorgen, denn die Bewältigung der Pandemie ist ja unsere gemeinsame Aufgabe. Ich finde es bedrückend, wenn sich Menschen unversöhnlich gegenüberstehen. Aber von Anfang der Pandemie an gibt es auch eine deutliche, große Mehrheit, die die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus solidarisch trägt. Wir haben es mit einem radikal tödlichen Geschehen zu tun, nämlich mit einem tödlichen Virus. Ich wäre froh, wenn das in den Auseinandersetzungen nicht aus dem Blick gerät: Es gibt kein wie auch immer geartetes „da oben“, das mit Maßnahmen „die da unten“ belasten will. Es gibt ein krankmachendes Virus, dessen Eindämmung im Interesse aller ist. Dabei muss immer wieder und immer wieder auch kritisch gefragt werden, ob die Maßnahmen angemessen und notwendig sind. Das ist nicht nur legitim, sondern absolut notwendig. Allerdings muss man eine harte, faire demokratische Debatte deutlich von unerträglichen Behauptungen und Diffamierungen unterscheiden. Die Selbststilisierung in vermeintliche Opferrollen gehört leider inzwischen zu unseren gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Die Selbststilisierung zu Opfern unter Missbrauch von Symbolen wie dem im Nationalsozialismus zu Diskriminierung und Ausgrenzung von Juden eingeführten Judenstern ist unerträglich und eine Verharmlosung des Holocaust. Wir müssen solchem Missbrauch entschieden entgegentreten.  

Bick: Was könnte die Kirche in dieser Situation tun? Welche Aufgabe hat sie?

Stäblein: Ich denke, die Kirche hat eine doppelte Aufgabe. Zum einen, eine klare Position zu vertreten – und das heißt im Sinne des Evangeliums immer so, dass die Schwächsten und die Übersehenen gestärkt werden. Davon gibt es etliche in der Pandemie und es sind nicht die, die besonders laut schreien. Vielmehr sind es die, die kaum eine Stimme haben: die Kinder und Jugendlichen, die ihrer Bildungschancen beraubt werden, weil zu viele Erwachsene der Meinung sind, die Maßnahmen wie das Impfen seien für sie nicht notwendig. Oder die vielen, die – etwa krebserkrankt – auf notwendige Operationen warten, die verschoben werden, weil die Intensivbetten für die gebraucht werden, die die Pandemie nicht als ernste Bedrohung für sich gesehen haben. Als Kirche wollen wir immer wieder die Stimme derer stark machen, die tatsächlich Opfer der Pandemie sind. Die zweite Aufgabe ist, daran mitzuwirken, dass die Gesellschaft sich nicht entzweit. Wir sind offen für die, die sich an den Rand gedrängt, nicht gehört oder wahrgenommen fühlen. Dazu gehört auch, unsere je eigenen Positionen nicht zu überhöhen, auch nicht religiös. Gott führt in die Freiheit. Gott sollte gerade deshalb kein Mittel zur Druckverstärkung in Debatten sein, indem man etwa die eine Position gottgefälliger als die andere erscheinen lässt.

Bick: Sie sagen, Sie wollen offen bleiben für den Dialog und auch harte Debatten führen. Gibt es für Sie auch Grenzen?


Stäblein: Ja, Intoleranz, Antisemitismus, Diffamierung und Ausgrenzung erfordern eine klare Position von uns. Hier gilt es gegenzuhalten, nicht einer kleinen, lauten Minderheit das Feld der öffentlichen Wahrnehmung zu überlassen. Fairer Streit und Meinungsvielfalt gehören dazu, die müssen wir in unserer Demokratie nicht nur aushalten, sie machen unsere Demokratie aus, sie lebt davon. Wir sollten die Meinungskorridore nicht eng werden lassen. Doch wenn Intoleranz und Ausgrenzung zum gravierenden Merkmal werden, dann müssen wir klar widersprechen.