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Reformationsbotschafterin warnt vor Verrohung der Gesellschaft

Die Gesellschaft müsse auch mit Schwächen leben können

23. April 2015. Magdeburg (epd). Die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann hat vor einer wachsenden Verrohung der Gesellschaft gewarnt. Es scheine, "dass wir in einer Gesellschaft leben, in der nur der Erfolg zählt", sagte die evangelische Theologin am Mittwochabend bei einer Diskussion in Magdeburg. Anzeichen dafür seien etwa zunehmende Depressionen und Essstörungen bei jungen Menschen. Sie befürchte, dass in der ökonomisierten Gesellschaft die Wirtschaft über die Menschenwürde siegen könnte.

Zudem schläfere die "Ablenkungsgesellschaft" die Menschen medial ein, betonte Käßmann bei dem Gesprächsforum im Magdeburger Palais am Fürstenwall, dem Sitz der Staatskanzlei. In "unserer effektiven Welt" solle etwa auch das Sterben effektiv sein. Wo aber käme die Gesellschaft hin, wenn sie nicht mit Schwäche leben könne, fragte Käßmann. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist seit 2012 Botschafterin der EKD für das 500. Reformationsjubiläum 2017.

Die Gesellschaft degeneriere in der Anonymität von "Shitstorm-Äußerungen". Vieles davon würden Menschen, die sich Auge in Auge gegenüberstehen, nicht sagen. Unflätig aus der Anonymität heraus seine Meinung zu verbreiten, sei keine Haltung. Haltung heißt nicht immer Opposition, sondern auch zu den Werten in diesem Land zu stehen, sagte Käßmann. 

Bei der Freiheit im evangelischen Sinn gehe es um Gewissensfreiheit, die sich im Dialog mit der Bibel und in der Welt entwickeln müsse. Sie sei auf die Gemeinschaft bezogen. Dass Reformator Martin Luther (1483-1546) die Verantwortung des Individuums in den Mittelpunkt gestellt habe, sei ein historischer Wendepunkt in der Gesellschaft gewesen. 

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, er erlebe eine breite Kluft zwischen den Aussagen des deutschen Grundgesetzes zu Menschenrechten und dem Verständnis dafür. So habe er etwa nach den Demonstrationen gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz und den Brandanschlag auf das Haus viele Schmähungen aus ganz Deutschland erhalten. Deshalb habe er auch gesagt, dass "Tröglitz überall" sei.

Es gebe einen nicht unerheblichen Bodensatz an fremdenfeindlichen Haltungen. Vor kritischen Äußerungen sollten die Menschen aber erst einmal Flüchtlinge und Asylbewerber kennengelernt. Dann wären nämlich auch schon 98 Prozent der Vorurteile beseitigt, fügte Haseloff hinzu. Auch müsse dabei die Elite der Gesellschaft Orientierung vermitteln. Wenn ihr dies ihr nicht gelinge, habe sie versagt.

Das Gespräch in Magdeburg bildete den Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe "Sachsen-Anhalt Premium" der Landesregierung. Sie soll Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur, Medien und Kirchen eine Plattform des Gedankenaustauschs und der Diskussion bieten. Zu Beginn ging es um die Verantwortung des Individuums in der Gesellschaft.