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"Mit Sorbisch war früher kein Blumentopf zu gewinnen"

Gerade hat das Sorben-Wenden-Gesetz der EKBO 15jähriges Jubiläum gefeiert. Prädikant Manfred Hermasch erzählt im Interview, warum es dieses Gesetz braucht und was es verändert hat

Die sorbische Ostermalerei ist eine bekannte Tradition. Foto: Wikimedia
Die sorbische Ostermalerei ist eine bekannte Tradition. Foto: Wikimedia
Manfred Hermasch beim traditionellen Trachten-Ernte-Dank-Gottesdienst in Tätzschwitz 2018. Foto: Martina Petschick
Manfred Hermasch beim traditionellen Trachten-Ernte-Dank-Gottesdienst in Tätzschwitz 2018. Foto: Martina Petschick
Manfred Hermasch beim traditionellen Trachten-Ernte-Dank-Gottesdienst in Tätzschwitz 2018. Foto: Martina Petschick
Manfred Hermasch beim traditionellen Trachten-Ernte-Dank-Gottesdienst in Tätzschwitz 2018. Foto: Martina Petschick

In der EKBO gibt es seit 2005 ein Sorben-Wenden-Gesetz. Es gilt für das Niederlausitzer und das anteilige Oberlausitzer Sprachgebiet. Am 23. April 2020 wurde es 15 Jahre alt. Ekbo.de hat dazu mit Manfred Hermasch gesprochen, er ist Sorben-Wenden-Beauftragter der EKBO und Vorsitzender des Sorben-Wenden-Beirates. 

Herr Hermasch, Sie setzen sich seit 1983 unter anderem dafür ein, dass sorbische Gottesdienste in der EKBO gefeiert werden. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Meine Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend hatten mir vor Augen geführt, mit dem Sorbischen wäre kein Blumentopf zu gewinnen. Eigentlich bin ich als Kind muttersprachlich mit dem Schleifer Sorbisch bei den Großeltern aufgewachsen. Es war eine schöne Zeit – aber ich musste dann im „Erntekindergarten“ der neugegründeten LPG kurz vor der Einschulung Deutsch lernen. Es sollte uns bessere Zukunftschancen geben. Also war das sorbische Wort verboten und für mich meist Eckestehen angesagt. In der Schule kam dann die Zäsur, wir mussten Obersorbisch lernen. Aber dieses Sorbisch führte dazu, dass die Großeltern mich schwer verstehen konnten. So begann man sprachlich zu mischen – Obersorbisch – Schleifer Sorbisch – später Russisch. Eine Bemerkung unseres Russischlehrers hat mich sehr getroffen – da war für mich Schluss mit Sorbisch: „Wir sprechen hier Russisch und kein Wasserpolnisch rückwärts!“. So stürzte ich mich stattdessen auf das Russische, habe später als Dolmetscher für Studentengruppen gearbeitet.

Wie kam es dann zum Engagement für das Sorbische in der Kirche?

Unser neuer Pfarrer Ulrich Maiwald kam auf mich zu und fragte, ob ich ihn beim Schreiben eines Beitrages für die Kirchenzeitung unterstützen könnte. Er sollte die christlichen sorbischen Traditionen der Schleifer Region beschreiben. Das Brauchtum bereitete mir keine Schwierigkeiten, aber die Frage nach der Zukunft. Die Zahl der Trachtenträgerinnen und Muttersprachler hat damals schon abgenommen, heute haben wir nur noch eine einzige Trachtenträgerin im hohen Alter. Im Sozialismus gab es gerade im Sorbischen eine Abstinenz gegen das Kirchliche. Doch das Stehen im Glauben in der Verbindung mit der Sprache, das waren immer die Wurzeln. Pfarrer Maiwald riet, diese Wurzeln müssten geschützt werden, zumindest müsse aktiv der weitere Niedergang verlangsamt werden. Er traue mir zu etwas zu organsierten. Und so bin ich seit 1983 auf vielen Wegen unterwegs, habe mich weitergebildet, Gottesdienste gehalten, Kontakte geknüpft und andere einbezogen. Mit der Verkleinerung der Synode der evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz (EKsOL) wurde mir dann ehrenamtlich das Amt für sorbische Gemeindearbeit übertragen.

Wie war die Situation der Wenden und Sorben damals – in kultureller und kirchlicher Hinsicht?

1961 wurde bei uns der letzte reguläre sorbische Gottesdienst gehalten. Und da bin ich bei den Unterschieden zwischen der Ober-und der Niederlausitz. Wir hatten im Gebiet der EKsOL zwar ein sehr gutes Kirchengesetz, aber leider keine Geistlichen mehr. In der Niederlausitz wurde das Verbot der sorbischen Gottesdienste nach dem Krieg nicht aufgehoben, es gab aber unter dem Generalsuperintendenten Manfred Richter in den achtziger Jahren eine Initiative, wendische Gottesdienste vorzubereiten. In der Niederlausitz war das Interesse für wendische Angebote sehr groß. Eine Arbeitsgruppe hatte sich gebildet, die "kupka serbska namša", die versuchte, die Gemeindearbeit zu beleben. Unsere Kirchenleitung hat dann die Möglichkeit gefunden, auf vertraglicher Grundlage mit der Landeskirche Sachsen Gottesdienste anzubieten. Zwischenzeitlich lagen alle Aufgaben in der Verantwortung von Laien. Wir „Laien“ gestalteten selber Andachten, Gottesdienste und sorbische Gemeindenachmittage. Damit die sorbische Sprache am „Klingen“ bleibt, wurden zweisprachige Gottesdienste mitgestaltet.  

Die Kontakte zur Niederlausitz aber blieben sehr gut und wir besuchten oft deren Gottesdienste. Was die Qualität der Dienste betrifft haben wir uns dann doch für den neuen sorbischen Superintendenten Jan Mahling entschieden. Gerade seine freie Wortverkündigung und das Aufschließen der Besonderheiten unserer Regionen hat uns diese Entscheidung leicht gemacht.

Warum war dann das Sorben-Wenden-Gesetz vor 15 Jahren notwendig?

Im Kirchenneubildungsprozess waren viele Möglichkeiten gegeben. Mit Lutherisch-Sachsen war eine Übernahme aller kirchlichen Regelungen signalisiert worden. Ich habe mit dem damaligen Bischof Hempel gesprochen, welche Chancen er für Ausnahmeregelungen sähe. Das Ergebnis war ernüchternd.

Auf der anderen Seite bestand die Chance, sich in einem Prozess aus zwei Landeskirchen eine neue gemeinsame Grundordnung zu arbeiten. Für mich gehörte das Sorbische sowieso dazu, wir hatten ja schon ein entsprechendes Kirchengesetz. Anders sah das für die Niederlausitz aus. Wir haben vereinbart, etwas Gemeinsames neu zu erarbeiten und dabei das Kirchengesetz über den sorbischen evangelischen Gemeindedienst als Grundlage zu nehmen. Die Grundordnung wurde beschlossen und aus der Fusion ging die neue evangelische Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz (EKBO) hervor. Ich gehörte der neuen Synode an, war Mitglied des Ältestenrates und so begannen wir bereits 2004 mit konkreten Sondierungen in der Niederlausitz. Aber die Sache war komplizierter als anfangs gedacht.

Inwiefern?

Unterschwellig spielte das lange Verbot der Sorbisch/wendischen Sprache in der Niederlausitz eine Rolle. Die Schwerpunkte der zukünftigen Arbeit hatten wir formuliert, aber viel wesentlicher war für die Niederlausitzer: Wie muss es buchstabiert werden? Heißt es „wendisch“ oder muss man sich auf die staatliche Schreibung „sorbisch(wendisch)“ oder „sorbisch/wendisch“ einigen? Manche werden heute darüber den Kopf schütteln, aber damals ging das den Niedersorben sehr nahe, denn mit der Wende war der obersorbische Einfluss auf deren Sprache zu Ende und man konnte sich auch stolz wieder des alten Begriffes "Wende" annehmen. Heute würden wir uns mehr den inhaltlichen Punkten zuwenden...

Aber sei es wie es sei – wir haben einen Entwurf in die Synode 2005 eingebracht. Im synodalen Verfahren war aber erkennbar, dass einige Synodale der Kirchenkreise, die nicht im sorbisch/wendischen Siedlungsgebiet lagen, ihre Schwierigkeiten mit der Bezeichnung sorbisch/wendisch hatten. Man war gewillt den Entwurf abzulehnen. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber ich habe spontan den Vorschlag eingebracht, anstelle des Schrägstriche das Wort UND zu setzen. Mit dieser Änderung war die Mehrheit der Synodalen einverstanden. Bei der Endabstimmung gab es nur wenige Gegenstimmen. So heißt es nun fortan auch in der Reihenfolge „Sorben und Wenden“. Für mich kein Problem, aber für einige Brandenburger Politiker, weil wir deren gesetzliche Vorgaben missachtet haben. So wurden wir nach kurzer Zeit durch den Rat für sorbische/wendische Angelegenheiten des Landtages Brandenburg einbestellt und sollten unsere bewusste Übertretung begründen. Trotz der hitzigen Worte bin ich stolz, dass wir nun unser Gesetz für die sorbischen und wendischen Gebiete unserer Landeskirche haben.

Was hat sich dadurch verändert?

Sehr viel. In den Anfangsjahren mussten wir uns bemühen, über Spenden und Sonderkollektiven die Gesamtarbeit abzusichern. Das gab natürlich Konflikte und Spannungen, trug bei mir zu persönlichen Verletzungen bei, es gab eben zu unterschiedliche Ansatzpunkte.

Mit Unterstützung unseres damaligen Generalsuperintendenten Martin Herche ist es dann endlich gelungen, dass sich die Landeskirche anteilig an den Personalkosten einer 0,25-Stelle in der Niederlausitz beteiligt. Im Oberlausitzer Gebiet unseres Sprengels konnten wir ab 2014 die Pfarrstelle in Schleife mit einer muttersprachlichen Sorbin besetzen. In der Niederlausitz haben wir gegenwärtig zwei PfarrerInnen, die für Dienste bereitstehen. Ein weiterer steht mit seinen Kenntnissen in den altslawischen Sprachen zur Verfügung.

Trotz der beschränkten Haushaltsmittel ist es uns gelungen, viel Material für die Gestaltung von Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen zu erarbeiten. Die Niederlausitz hat ein neues Lektionar, eine neue Ausgabe der Bibelübersetzung, ein Gesangbuch für Jugendliche und Kinder. Schleife hat seit diesem Kirchenjahr ein neues Gesangbuch im Schleifer Sorbisch, mit Psalmen und Gebeten in Nutzung übernehmen können.

Wir leben von der Gemeinsamkeit, vom gemeinsamen Singen, Beten und Hören. Wir veranstalten gemeinsame sorbisch/wendische Kirchentage und planen einen Lausitz Kirchentag im Jahre 2022 in Görlitz. Wir arbeiten mit dem Zentrum Dialog und Wandel zusammen und gestalten gemeinsam Gottesdienste, wo wir die Situation in den Bergbaugebieten bedenken.

Die Kinder- und Jugendarbeit zeigt Erfolge, was den Gebrauch der sorbisch/wendischen Sprache betrifft. Natürlich gibt es weiterhin keinen sorbischen theologischen Nachwuchs und wir haben mit der Übernahme der neuen Agende ab dem Kirchenjahr 2019 ein neues Problem bekommen: Die Lesungen entsprechen nun teilweise nicht mehr den Textstellen in unseren sorbischen und wendischen Lektionaren. Entweder wir setzen uns selber hin und übersetzen oder übernehmen die deutschen Texte. Ein unmöglicher Zustand, einem Pfarrer zu vermitteln, der uns die Möglichkeit bietet, sorbische Textstellen zu lesen, dass diese Texte in unseren Gottesdienstbüchern nicht enthalten sind. Für eine Übersetzung und Neuausgabe fehlen uns nicht nur die Mittel, sondern auch die Kräfte, wir müssten extern übersetzen lassen. Hier hätten wir mehr Abstimmung und Rücksicht durch die EKD erwartet.

Gibt es weitere Punkte, die noch verbessert werden sollten?

Obwohl sich schon vieles gegenüber 2005 verbessert hat, wünschte ich mir doch an vielen Stellen mehr Fingerspitzengefühl bei den Gemeindekirchenräten und Ortspfarrern, wenn es um die Frage geht, wieviel Sorbisches wir anbieten müssen! Eine Sprache muss gesprochen werden, damit sie weiterlebt. Ein weiterer Punkt ist, dass wir aktuelle Lesungen in unseren nunmehr drei Sprachen benötigen, dem Obersorbisch, dem Niedersorbisch und dem Schleifer Sorbisch. Neben Geld ist dazu auch das notwendige Verständnis erforderlich.

Für die sprachliche Weiterbildung von Lektoren und anderer ehrenamtlicher Arbeit müsste die Angebotspalette verbreitert werden. Es gibt sehr gute Ansätze. So bin ich auch guter Hoffnung, dass sich Geistliche für unsere Region entscheiden könnten. Meine Erfahrung zeigt, mit gutem Willen auf beiden Seiten können Fortschritte erreicht werden.

Mehr zum Thema Sorben und Wenden in der EKBO finden Sie hier