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Ein Jahr nach dem Brand in Moria

Bischof Stäblein: "Überlassen wir die Menschen in Gottes Namen nicht ihrem Schicksal." Vortrag und Diskussion am 13. September um 19 Uhr in der Heilig-Kreuz-Kirche. Die aktuelle Situation in Moria beschreibt die Pfarrerin Ute Gniewoß

Man sieht eine Frau mit einem etwa fünfjährigen Mädchen im Arm über einen Holzsteg gehen, dahinter Zelte, strömender Regen.
Das Flüchtlingslager in Moria auf Lesbos lange vor dem Brand. Foto: Katastrophenhilfe

In der Nacht auf den 9. September 2020 brannte das völlig überfüllte Flüchtlingslager in Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Rund 12.600 Menschen mussten fliehen, die Lage war desaströs.

Bischof Christian Stäblein sagt dazu heute: „Die Bilder der Menschen, darunter so viele Kinder, die voller Angst Schutz suchten, bleiben im Gedächtnis. Was ist mit ihnen? Wer hat sich ihrer erbarmt? Noch immer gibt es viele Lager, in Griechenland und andernorts. Wir können mehr Geflüchtete bei uns aufnehmen. Der Wunsch zu helfen, ist groß, bei mir, bei Ihnen. Überlassen wir die Menschen in Gottes Namen nicht ihrem Schicksal.“

Kurz nach dem Brand wurde viel über die Situation der Geflüchteten in und um Moria berichtet – doch wie sieht es ein Jahr später dort aus? 

Die aktuelle Situation in Moria beschreibt die Pfarrerin Ute Gniewoß, die immer wieder im Flüchtlingslager auf Lesbos ehrenamtlich aktiv ist, folgendermaßen:

"Die Zustände im neuen Camp Moria 2.0 (auch genannt: Mavronouni oder Kara Tepe 2) sind nach wie vor sehr schlecht. Immer noch trennt nur eine Plastikplane von allen Wettern (in den letzten Wochen war es manchmal über 40 Grad heiß). Die hygienischen und sozialen Verhältnisse sind schrecklich. Die BewohnerInnen dürfen offiziell nur drei Stunden pro Woche das Camp verlassen. Ich weiß nicht genau, wie viele Menschen dort jetzt leben, es sind wahrscheinlich inzwischen etwas weniger als 5000.

Die Asylverfahren sind beschleunigt worden, was auch bedeutet, dass Menschen mit positivem Ausgang oft obdachlos werden und in Griechenland in der Regel keine Chance auf Arbeit und Unterkunft haben, es sei denn, sie finden Hilfe durch NGOs oder reisen z.B. nach Deutschland und stellen dort einen neuen Asylantrag.

Im Zusammenhang mit Plänen des „New Pact on Migration“ sind bereits jetzt haftähnliche Zentren z.B. auf Lesbos in Planung, in denen Schnellverfahren durchgeführt werden sollen. Stefan Dold, ein Mitglied unserer Kirchengemeinde in Kreuzberg (Heiligkreuz - Passion), war vor wenigen Wochen vor Ort und schrieb in seinem Blog: 

Nach dem Brand in Moria im vergangenen Jahr haben die EU-Kommission und die griechische Regierung ein Memorandum of Understanding abgeschlossen, in dem sie vereinbaren, für 276 Millionen Euro aus EU-Geldern neue Hotspot-Lager auf fünf griechischen Inseln zu bauen, in denen jeweils Tausende Asylsuchende von der Registrierung bis zur Asylentscheidung bzw. bis zur Abschiebung kaserniert werden sollen. Das Vorbild für diese neuen Lager zur Isolierung der Menschen bis zur Rückführung kommt übrigens auch aus Deutschland: Es sind die ANKER-Zentren.

Die neuen Lager sind ein gemeinsames Projekt von EU und griechischer Regierung, aber die beiden Partner könnten kaum unterschiedlicher beschreiben, was sie da genau bauen (siehe etwa hier oder hier): Während die EU-Kommission in ganz Europa die PR-Version verbreitet, auf den Inseln entstünden offene Musterlager mit vorbildlicher Versorgung der Asylsuchenden, die ganz an deren Wohl orientiert seien (was meine Kollegen von Lesvos Solidarity sehr stark an die Worte erinnert, mit denen vor Jahren die Eröffnung von Moria als Musterlager angekündigt wurde), macht der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis der genervten Bevölkerung auf den Inseln in aller Offenheit deutlich: Die neuen Camps werden geschlossene Lager sein, und ihr Hauptzweck sei, potentielle Neuankömmlinge abzuschrecken. Asylsuchende einzusperren, wäre zwar ein weiterer Bruch von Menschenrechten und internationalen Abkommen, und die EU dürfte ein solches Gefängnis überhaupt nicht finanzieren. Auf den leisen Protest aus Brüssel hin hat Minister Mitarakis nun seine Terminologie angepasst: statt von „closed camps“ spricht er nun von „closed-controlled camps“.

Auf der Insel Lesbos gibt es schon einen Ort, wo dieses neue Camp Moria 3 entstehen soll. Es liegt im Norden neben einer Müllkippe und weit ab von der Hauptstadt.

Stefan Dold:
Was tatsächlich geplant ist, kann man hier im Nationalen Migrationsplan 2020-21 auf Griechisch nachlesen und in Fotos anschauen, und die Initiative „Europe must act“ hat es in diesem Bericht detailliert auf Englisch aufgeschrieben: zweifache Ummauerung oder Umzäunung im NATO-Stil, durchgängige Videoüberwachung mit automatisierter Bewegungsanalyse und Alarmsystem, Drohnenflüge zur Überwachung, Kontrollschleusen mit Metalldetektoren und Röntgenscannern, zentrale Lautsprecheranlage, geschlossene Haftbereiche für Neuankömmlinge bis zur Registrierung und für Abgelehnte bis zur Abschiebung, für alle anderen eng begrenzte Ausgangszeiten mit Höchstquoten, außerdem keine NGOs mehr innerhalb der Lager.

Die Geflüchteten haben dort dann keinen Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung und schon jetzt  haben der stellvertretende griechische Außenminister und der griechische Minister für Migration und Asyl die Türkei für alle Asylsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia zum sogenannten „sicheren“ Drittstaat erklärt (Beschluss vom 7. Juni 2021).

Menschen aus diesen fünf Herkunftsländern, die in Griechenland ankommen, wird in der Konsequenz der Zugang zu einem Asylverfahren in der EU versperrt. Ihnen droht in Griechenland ab sofort die Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig und die Abschiebung in die Türkei. Dazu z.B. der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:

Die Einstufung der Türkei als sicherer Drittstaat hat große politische Bedeutung und ist Teil der Abschottungslogik des toxischen EU-Türkei-Deals. Die Entscheidung demontiert im Wesentlichen die minimalen Sicherheitsvorkehrungen des maroden griechischen Asylsystems und gefährdet Tausende von Schutzsuchenden in eklatanter Missachtung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien. Im Jahr 2020 stammen zwei von drei Asylsuchenden in Griechenland aus einem der fünf aufgeführten Länder (66 Prozent). 77 Prozent aller Menschen, denen im gleichen Zeitraum in Griechenland internationaler Schutz gewährt wurde, stammen aus einem der aufgeführten Länder.

Außerdem gibt es nachweislich illegale Push-backs – Geflüchteten wird also das Ankommen in Europa gezielt unmöglich gemacht. Das kann sogar so aussehen, dass Geflüchtete, die gerade Lesbos erreicht haben, also schon angekommen sind, von Bewaffneten auf eine Rettungsinsel im Wasser gezwungen werden und dann in türkische Gewässer zurück geschleppt werden und dort sich selbst überlassen werden.

Von den EU Innenministern fordern wir deshalb: Bitte setzen Sie sich für die Verhinderung dieser Rechtsbrüche ein! Auch bitten wir Sie, die enorme Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung, Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen, als Chance zu begreifen. Setzen Sie die Aufnahmeprogramme nach Deutschland fort und schaffen Sie Landesaufnahmeprogramme für aufnahmebereite Bundesländer und Kommunen."

Ein Interview mit Ute Gniewoß aus dem vergangenen Jahr können Sie hier nachlesen

Sie möchten helfen?
Kurz nach dem Brand in Moria haben die griechischen Behörden das Pikpa-Camp von „Lesvos Solidarity“ für besonders schutzbedürftige Menschen zwangsweise geschlossen, eine der wenigen menschenwürdigen Unterkünfte auf der Insel. „Lesvos Solidarity“ bringt seit diesem Jahr hilfsbedürftige Frauen in einem Haus in der Inselhauptstadt Mytilini unter, betreibt das Bildungsszentrum „Mosaik“, produziert mit Geflüchteten Taschen aus den Resten von Rettungswesten und Schlauchbooten und setzt sich seit 2012 auf vielfältige Weise für Solidarität zwischen Bewohnern und Geflüchteten ein. 

Am Montag, den 13. September 2021, lädt die Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg um 19 Uhr zum Vortrag und zur Diskussion mit Efi Latsoudi von „Lesvos Solidarity“ ein. Die Veranstaltung findet mit Übersetzung auf Deutsch und Englisch statt. Hygieneregeln (Abstand, Händedesinfektion, Kontaktdaten zur Nachverfolgung, Masken je nach aktueller Regelung) müssen beachtet werden.