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Bischof Stäblein: Kirche muss mit Verunsicherten sprechen

"Wo Verschwörungsmythen allerdings Antisemitismus transportieren oder alte Feindbilder bedienen, da müssen wir und werden wir immer wieder energisch widersprechen."

Christian Stäblein. Foto: Matthias Kauffmann
Christian Stäblein. Foto: Matthias Kauffmann

Thüringens frühere Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hat die Kirchen für ihr Handeln in der Corona-Krise kritisiert. Bischof Christian Stäblein widerspricht ihr energisch. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagt der 52-jährige Theologe auch, wie Kirche nach seiner Überzeugung auf sich verbreitende Verschwörungsmythen reagieren sollte.

 epd: Teilen Sie die Kritik, dass die Kirche in der Corona-Krise zu viel Distanz zu Kranken, Einsamen, Alten und Sterbenden zugelassen hat?

 Stäblein: Nein, die Kritik teile ich überhaupt nicht. Wir sind als Kirche bei den Kranken und Alten, Einsamen und Sterbenden gewesen, wo immer wir davon wussten und es uns möglich war. Wir wissen, wie wichtig es ist, sie nicht alleine zu lassen - auch und vor allem nicht in Krisenzeiten. Als Kirche haben wir uns deswegen zu jeder Zeit entschieden dafür eingesetzt, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger Zugang zu Krankenhäusern und Altenpflegeheimen haben.

Wir haben auch die im Blick behalten, die in so einer Krise schnell mal übersehen werden, etwa Geflüchtete, Kita-Kinder und ihre Eltern, Bedürftige, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, Obdachlose. Unsere Kirchen standen offen für stille Einkehr und als wir dort Gottesdienste nicht feiern konnten, haben die Gemeinden mit vielen neuen Formen und Formaten darauf reagiert und engen Kontakt zu den Gemeindegliedern gehalten - und sogar viele Menschen erreicht, die vielleicht nicht in den Sonntagsgottesdienst gehen würden. Kirche war sehr lebendig in der Corona-Krise und so präsent wie schon lange nicht mehr, ist mein Eindruck.

Und natürlich dürfen wir im Rückblick auch nicht vergessen, wie unsicher die ersten Wochen nach Ausbruch von Covid-19 waren. Man wusste kaum, wie die Infektion sich entwickeln würde und ging von einer größeren Bedrohung aus, als dann Gott sei Dank eingetreten ist. Natürlich müssen wir uns auch selbst fragen, ob wir uns nicht an einigen Stellen lauter für die Menschen hätten einsetzen müssen. Doch im Ganzen gesehen haben wir unser gemeindliches und kirchliches Leben besonnen und solidarisch umgestellt und waren da, wo wir gebraucht wurden.

Die Kritik von Christine Lieberknecht erfährt so viel Widerspruch, weil sie Kernfragen kirchlichen Handelns berührt. Das kann nicht unwidersprochen bleiben, weil nicht der Eindruck entstehen sollte, die Kirche würde das genauso sehen. Und weil ihr offensichtlich einige Fakten entgangen sind. Aber auf einer tieferen Ebene geht es vielleicht auch um etwas ganz anderes: In der Frage "Wo waren die Kirchen?" steckt die Frage der Menschen nach Sinn und nach Gott. Eine lebhafte Debatte darüber kann uns nur gut tun.

 epd: Haben sich alle Pfarrer und Seelsorger auf die veränderte Situation eingestellt? Wo sehen Sie noch Defizite in Ihrer Kirche?

 Stäblein: Wir stellen uns ständig neu ein und um, nicht nur in Krisenzeiten. Und ja, ich glaube es ist uns gut gelungen, uns an die neue Situation anzupassen. Mein Eindruck ist, dass es momentan viele Impulse gibt, dass Kirche sich wandelt. Angefangen bei der Digitalisierung hin zu neuen Netzwerken, die entstehen. Bei allem ging und geht es darum, bei den Menschen zu sein - unter den je gegebenen Umständen. Defizite sehe ich nicht, aber es ist jetzt ganz wichtig, da zu sein, wo Menschen auf Kitas angewiesen sind und hier mit unseren kirchlichen Einrichtungen gute Angebote zu machen. Viele Eltern waren jetzt über die Maßen belastet und brauchen Unterstützung. Wir müssen auch die dringend nötige Hilfe für die Geflüchteten wieder in den Blick nehmen. Eine ganz große Herausforderung in den vergangenen Wochen war die Einsamkeit - zu Hause und in den Pflegeeinrichtungen. Hier gibt es noch viel zu tun, auch bei der Umstellung auf eine sogenannte "neue Normalität". Abstand wird ja noch eine Weile oberstes Gebot sein. Gerade dann ist die Sorge um soziale und geistliche Nähe besonders wichtig.

 epd: Die Corona-Krise hat viele Menschen verunsichert, in der Gesellschaft verbreiten sich Verschwörungsmythen. Was kann, was muss Kirche in dieser Zeit sagen?

 Stäblein: Verschwörungsmythen sind ja kein neues Phänomen. Dass sie nun in einer Zeit mit so vielen Unsicherheiten und Unabwägbarkeiten so stark auftreten, ist eigentlich kein Wunder. Sie sind ein Symptom der Krise. Viele Verschwörungsmythen sind Ausdruck von Angst und dem Gefühl, ausgeliefert zu sein. Wir Christen stehen für eine Botschaft des Vertrauens und des Mitgehens. Wir suchen nicht Sinn im Sinnlosen, sondern glauben an Gott, der Ohnmacht und Ungewissheit mitträgt. Wo Verschwörungsmythen einfache Erklärungen und Schuldige suchen und so eine Gesellschaft vergiften können, wirkt das Evangelium heilsam, weil es ins Offene führt. Wir müssen mit den Menschen, die große Ängste haben, das Gespräch suchen. Wo Verschwörungsmythen allerdings Antisemitismus transportieren oder alte Feindbilder bedienen, da müssen wir und werden wir immer wieder energisch widersprechen.

epd, Jens Büttner

Info:
Am 16. Juni findet ein Webinar zum Thema Corona und Verschwörungsmythen statt. Das kostenlose Angebot entsteht als Kooperation der „Demokratie gewinnt!“-Projekte der Diakonie Mitteldeutschland und des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.