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"Verdrängung ist keine Erlösung"

Diskussion: Antijudaistische Schmähplastik am Brandenburger Dom mahnt zu verantwortungsvollem Umgang

Man sieht eine in Stein gehauene Sau, die Ferkel säugt. Die Plastik soll Juden diffamieren.
Schmähplastik am Brandenburger Dom
In diesem mittelalterlichen Kreuzgang am Brandenburger Dom ist eine antijüdische Schmähplastik angebracht.
Der Brandenburger Dom ragt in den blauen Himmel.
Brandenburger Dom

Im Kreuzgang des Domstifts Brandenburg befindet sich an einem Pfeiler eine mittelalterliche Plastik. Sie zeigt eine Sau, die vier Ferkel und ein menschenartiges Wesen säugt. Die Sau hat einen menschenähnlichen Arm. Auf dem Kopf trägt sie einen spitzen Hut. Vor ihr steht eine weibliche Figur mit Schleier, die dem Tier etwas reicht. Im Anus der Sau macht sich eine weitere Gestalt zu schaffen. Der Bezug war für die Betrachter damals klar: Diese Schmähplastik zielte, wie fast 50 weitere im deutschsprachigen Raum, auf Juden ab.

Aber was genau bedeutet sie? Wer hat sie in wessen Auftrag angefertigt? Warum verwandten die Christen so viel Zeit und Geld auf die derb beleidigende, jedoch handwerklich aufwendige Karikatur? Und worauf verweist die Inschrift, die vorläufig als PJINNE CAS zu lesen ist? Auf den alttestamentarischen Pinhas? Das aus Terrakotta gestaltete Relief gibt Rätsel auf. Bei einer Veranstaltung am 25. Januar in der Aula der ehemaligen Ritter-Akademie am Brandenburger Dom informierte die Kunsthistorikerin Theresa Jeroch über Hintergründe und Erkenntnislücken.

Den seit dem 15. Jahrhundert verwendeten und später nationalsozialistisch besetzten Begriff „Judensau“ vermeidet sie zugunsten des lateinischen „sus et iudaei“ („Sau und Juden“). Die Bildsprache lasse sich auf gängige Motive beziehen: antijüdische Legenden – und Bibelgeschichten. Das Schwein galt als unrein, als Symbol des Teufels und der Sünde.

Die Brandenburger Plastik entstand zwischen 1235 und 1250. Zu der Zeit brachten Laienbewegungen Unruhe ins christliche Abendland. Sie misstrauten dem Papst, stellten die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Elite in Frage und orientierten sich an einem Armutsideal. Jeroch vermutet, dass die Kirche die Abgrenzung von Feinden psycho-strategisch nutzte: „Das Feindbild beschwor die Einigkeit und Tugendhaftigkeit der Christen.“ Abweichler wurden zu Häretikern erklärt, zu Ketzern und Falschgläubigen. Abweichende Meinungen führten direkt in die Hölle: Die Inquisition begann. Die Juden gerieten ins Visier. Dazu mussten sie leibhaftig gar nicht in der Nähe sein – für Brandenburg sind im 13. Jahrhundert keine Niederlassungen bezeugt – es reichte, das Judentum als überwundene, falsche Religion darzustellen – und die ecclesia, die Kirche, als sieghaft, getreu dem unchristlichen Motto „Wer andere erniedrigt, erhöht sich selbst“. Ohne die Herabwürdigung des Judentums wäre die Kirche weniger mächtig.

Juden, die trotz aller Anfeindungen auf ihrem Glauben beharrten und Jesus als Messias nicht anerkannten, boten eine Projektionsfläche für das gefährliche, gefährdende Andere – sie waren des Teufels. Und das Evangelium bot genügend Nahrung für diese Sichtweise. „Ihr habt den Teufel zum Vater“, wirft Jesus in Joh 8 den Juden vor. Um dieses Teuflische zu entmachten, machte man es lächerlich. „Lachen wirkt nach innen gemeinschaftsbildend und nach außen ausgrenzend“, meint Jeroch. So wurde die Schmähplastik zum „Teil einer kirchlichen Tradition des Antijudaismus, die von den Anfängen der Kirche bis in NS-Zeit reicht“, sagt Marion Gardei, Antisemitismus-Beauftragte der Landeskirche, „sie hat dem rassistischen Antisemitismus den Nährboden mit bereitet“. Wie die Schoah möglich war, bewegt auch Podiumsgast Andreas Nachama, den Vorsitzenden der Allgemeinen Rabbinerkonferenz. Er ist sicher: „Der Antijudaismus der Kirchen gehörte dazu.“ Im Brandenburger Dom bleibt die Plastik beschämendes Zeugnis einer "spezifisch christlichen Menschenfeindlichkeit", wie es die ehemalige Generalsuperintendentin von Potsdam, Heilgard Asmus, ausdrückte – kein Ausrutscher, sondern kirchliche Konstante. Es bringe daher nichts, die Zeugnisse dieses Unheils abzuschlagen, als könne Geschichte bereinigt werden. "Verdrängung ist keine Erlösung", formulierte Asmus.

Dieses „schwierige Erbe“ will das Domstift weiter erforschen und dokumentieren. Der bereits vor Jahren angebrachte erklärende Kommentar zur Plastik reicht nach Auffassung von dessen Kurator Cord-Georg Hasselmann nicht aus: „Helfen Sie uns, die richtigen Antworten zu finden!“
Sachdienliche Hinweise nimmt das Domstift per Email entgegen: schmaehplastik(at)dom-brandenburg.de