Mission heute: Wie das Berliner Missionswerk von Partnerkirchen im Ausland lernt
04.08.2025
Erfahren Sie im epd-Gespräch mit Ulrich Schöntube, dem neuen Direktor des Berliner Missionswerks, wie die internationale Zusammenarbeit und der Austausch mit Gemeinden in anderen Ländern die Kirche in Deutschland bereichern und nachhaltig prägen.

Der neue Direktor des evangelischen Berliner Missionswerks, Ulrich Schöntube, sieht in den Erfahrungen der weltweiten Partnerkirchen wichtige Impulse für die Kirchen in Deutschland. Dies gelte etwa für die Finanzierung der Arbeit wie auch für die Existenz als Minderheitenkirche in einer Gesellschaft, sagte Schöntube dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zur Identität des Missionswerkes gehöre aber auch die Aufarbeitung seiner Verflechtung in koloniale Kontexte.
epd: Herr Schöntube, Sie haben bei Ihrer Einführung ins Amt gesagt, Sie wollen als neuer Missionsdirektor Impulse aus den Partnerkirchen im Ausland für die hiesige Kirche fruchtbar machen. Mission nach heutigem Verständnis ist also keine Einbahnstraße mehr?
Ulrich Schöntube: Wir stecken hier in der evangelischen Kirche in Deutschland in Veränderungsprozessen. Kirchliche Strukturen verändern sich. Bei den Fragen der Finanzierung, der Mitgliederentwicklung und der Bindung von Mitgliedern kommt in den nächsten zehn Jahren sehr viel Bewegung rein. Das Missionswerk kann hier einen Wissens- und Erfahrungstransfer leisten. Das gilt etwa für die Finanzierung jenseits unseres etablierten Kirchensteuermodells oder für Erfahrungen von Kirchen in einer Minderheitensituation wie etwa in Rumänien, Polen oder Tschechien. Es lohnt sich also, hier in den Dialog mit anderen Kirchen zu treten.
epd: Wie sieht es dabei mit Ihrem missionarischen Selbstverständnis aus?
Ulrich Schöntube: Wir gehen hier in Deutschland immer davon aus, dass die christlichen Kirchen kleiner werden. Weltweit ist das Christentum aber eine wachsende Religion. Darunter sind ausländische Kirchen und Gemeinden, die die „gute Botschaft“ weiter auch zu uns tragen wollen, also „Mission“ betreiben. Dies wird nur nicht so genannt. Mein Ziel ist es, diese Impulse aus Partnerkirchen aufzunehmen. Wir wollen als Missionswerk einen Perspektivenwechsel hinbekommen und deutlich machen, dass wir in den Transformationsprozessen hier eine wichtige Rolle spielen.
epd: Wie soll das praktisch aussehen?
Ulrich Schöntube: Wir haben ökumenische Freiwillige aus Partnerkirchen, die zu einer Weitung unseres Selbstverständnisses als Kirche beitragen. Wir brauchen diese Impulse von außen. Auf der Ebene des Jugendaustausches gibt es etwa im Kirchenkreis Oderland-Spree sehr gute Erfahrungen. Dort gibt es eine Zusammenarbeit - außerhalb des Missionswerkes - mit einer Gemeinde in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Die stellen seit Jahren Konfirmandenfreizeiten mit mehr als 200 Jugendlichen auf die Beine.
Ulrich Schöntube: Früher galt „Mission“ als eine direkt von Gott, nicht von der Kirche her kommende Bewegung, lateinisch die „missio dei“. Aber eigentlich können wir das auf den Begriff „Kommunikation“ herunterbrechen; dass wir etwas weitergeben, was wir empfangen haben. Wir sorgen also für eine gute Kommunikation des Evangeliums in der Welt. Im 19. Jahrhundert war damit verbunden, dass das Evangelium nur in einer bestimmten kulturellen Gestalt anerkannt war - beispielsweise der weiße, blonde Christus. Und dieses Selbstverständnis wurde versucht, in anderen Kulturen weiterzugeben, zu implementieren.
epd: Da spielten natürlich auch der Kolonialismus und rassistische Begrifflichkeiten eine Rolle.
Ulrich Schöntube: Damit setzen wir uns auseinander. Zum 200-jährigen Bestehen des Berliner Missionswerks haben wir im vergangenen Jahr hier im Haus eine neue Dauerausstellung mit dem Titel „mission:reflexion“ eröffnet, die sich vor allem mit diesen Fragen beschäftigt. Wir durchforsten unsere Archive nach sogenannten Unrechtskontexten, klären, ob Dinge unrechtmäßig oder unter Zwang erworben wurden. Diese Aufarbeitung unserer Geschichte ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Identität.
epd: Sie sagten, als Missionswerk sorgen sie heute „für eine gute Kommunikation des Evangeliums in der Welt“ - was meinen Sie konkret?
Ulrich Schöntube: Wir suchen nach sogenannten Inkulturationswegen, das heißt, dass das Evangelium je nach kulturellem Kontext eine neue Gestalt gewinnt. Der ghanaische Theologe Kwame Bediako hat von der „Inkarnation“ des Evangeliums in einer jeweils anderen Kultur gesprochen: Jesus ist also nicht mehr nur weiß, sondern sieht in jeder Kultur anders aus. Dabei hatten wir diesen Kulturtransfer schon in der Antike, wie die Apostelgeschichte zeigt: die Ersten, die das Christentum in den verschiedenen Kulturkreisen verbreitet haben, waren Menschen aus Palästina, keine weißen Europäer.
epd: Das Berliner Missionswerk hat Partner in Ostasien, in Nahost, in Osteuropa, in Afrika und in Nordamerika. Wo sehen Sie Ihre Schwerpunkte?
Ulrich Schöntube: Es gibt Projekte, die gut laufen, zum Beispiel unsere Schule Talitha Kumi in Palästina. Dort können aktuell rund 800 Kinder und Jugendliche verschiedene Abschlüsse machen. Zugleich leistet diese Schule Friedenserziehung in dieser umkämpften Region. Unser Freiwilligenprogramm wollen wir ausbauen: Derzeit schicken wir 30 junge Menschen von hier in unsere Partnerkirchen weltweit und von dort kommen 16, 17 Freiwillige zu uns. Wir würden gerne mehr Freiwillige aus den Partnerkirchen hier begrüßen, das ist aber eine Frage der Finanzierung und der Betreuung durch hiesige Gemeinden und Einrichtungen. Außerdem würde ich gerne den professionellen Austausch fördern, etwa durch mehrmonatige Arbeitsaufenthalte in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen. Im Rahmen von „ökumenischen Partnerschaftskonsultation“ wünsche ich mir, dass unsere Partnerkirchen uns „visitieren“ und beraten.
epd: Vor dem Hintergrund dieser veränderten Schwerpunkte: Sollte das Missionswerk nicht umbenannt werden?
Ulrich Schöntube: Nein, wir sind Teil einer Bewegung, die das Evangelium in unterschiedlichen kulturellen Kontexten verbreiten will. Es gibt bei vielen Werken in Deutschland die Diskussion, den Begriff „Mission“ abzuschaffen. Das beruht meines Erachtens aber auf dem Missverständnis, dass - wie im 19. Jahrhundert - der Aufruf zur Mission, zur „Sendung“, aus Matthäus-Evangelium Kapitel 28 weiter als „Missionsbefehl“ fehlinterpretiert wird. Wenn man den Begriff der Mission abschaffen will, müsste man den Begriff auch in biblischen Schriften tilgen. Das finde ich eine merkwürdige Vorstellung.
epd: Halten Sie die postkoloniale Debatte für überflüssig?
Ulrich Schöntube: Im Gegenteil, es ist wichtig, dass sich die Missionswerke der postkolonialen Kritik stellen. Das betrifft auch die bis heute spürbaren Auswirkungen des Kolonialismus im Umgang mit unseren Partnerkirchen.
epd: Auf der historischen Hausfassade des Berliner Missionswerkes steht der „Missionsbefehl“ aus Matthäus 28 in goldenen Buchstaben: „Gehet hin und lehret alle Heiden und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Ist das noch zeitgemäß?
Ulrich Schöntube: Ich höre immer wieder Kritik an dieser Inschrift. Aber der Missionsauftrag aus Matthäus 28 ist eigentlich viel länger. An unserem Hausgiebel ist das entsprechende Bibelzitat leider nur verkürzt und im Geist des 19. Jahrhunderts wiedergegeben. Dies führt dann zum Missverständnis, dass der Missionsauftrag nur aus „Lehren“ und „Taufen“ besteht. Die meisten Menschen stören sich am Begriff „Heiden“, genau übersetzt aus dem Hebräischen müsste es eigentlich „die nicht-jüdische Welt“ heißen. Wir werden im Rahmen einer „kritischen Intervention“ das Bibelwort in der Übersetzung von Martin Luther erläutern. Aber wir können die Inschrift nicht abmontieren, sagt der Denkmalschutz. Wie diese Kontextualisierung genau aussehen wird, etwa in Form eines QR-Codes, wissen wir noch nicht. Aber wir brauchen eine gute Erklärung und den Hinweis darauf, was wir heute tun.