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Mit Luther Lesen lernen

Die Reformation förderte das Entstehen der sorbischen Schriftsprach

Von Thomas Bickelhaupt (epd)

 

Der jüngste Gothaer Zufallsfund eines sorbischen Luther-Katechismus ist nicht nur eine Sensation für die Forschungsbibliothek in Schloss Friedenstein. Die Handschrift ist auch ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Schriftsprache der Sorben.

 

Gotha (epd). Nach einem solchen Fund lasse sich nicht gezielt suchen, sagt die Leiterin der Forschungsbibliothek Gotha, Kathrin Paasch. Umso größer sei die Begeisterung unter den Wissenschaftlern gewesen, als sie mit den unscheinbaren Papierstreifen die Fragmente eines bedeutsamen Dokuments der Reformationsgeschichte in den Händen hielten. Weil die Handschrift einst offenbar als bedeutungslos galt, wurde sie kurzerhand zerschnitten, überdauerte die Zeiten im Verborgenen und wurde nun wiederentdeckt.

 

Erst mit der 2004 begonnenen Erschließung des umfangreichen Briefnachlasses des Wittenberger Reformators Paul Eber (1511-1569) kamen die Fragmente wieder ans Tageslicht. Frühere Nachlassverwalter hatten zum Binden von Ebers Briefen, die in der Gothaer Bibliothek bewahrt sind, die Papierstreifen als Falz an die Briefränder angeklebt. Zusammengefügt ergaben die Fragmente einen Kleinen Katechismus von Martin Luther (1483-1546) in Deutsch und in Niedersorbisch.

 

Ebers Nachlass weist den Wittenberger "Reformator der zweiten Reihe" als einen europaweit vernetzten lutherischen Gelehrten aus. Dieser weitreichenden Korrespondenz sei wohl auch die zweisprachige Abschrift von Luthers 1529 erschienenem Katechismus zu verdanken, sagt Direktor Eduard Werner vom Leipziger Institut für Sorabistik. "Aber Anlass, Autor und Entstehungszeit der Handschrift liegen im Dunkeln."

 

Werner ist Experte für die Geschichte des kleinen slawischen Volkes der Sorben, deren Vorfahren etwa um das Jahr 600 in die Lausitz einwanderten. Während in anderen deutschen Regionen die Slawen im Mittelalter grausam vernichtet wurden, blieb ihr Siedlungsgebiet in Ostdeutschland über die Jahrhunderte erhalten. Heute leben in der Lausitz in Sachsen und in Brandenburg zwischen 40.000 und 60.000 Sorben.

 

Der Leipziger Wissenschaftler ist überzeugt, dass es sich bei dem Gothaer Fund "um eines der ältesten niedersorbischen Sprachdenkmäler des 16. Jahrhunderts" handelt. Die Verschriftlichung der sorbischen Sprache sei untrennbar verbunden mit der Reformation. Luthers Prinzip von der Muttersprachlichkeit biblischer Texte habe letztlich auch das Entstehen der sorbischen Schriftsprache befördert.

 

Denn das einheitliche Deutsch des Reformators in Wort und Schrift hatte mit der Muttersprache der sorbischen Bevölkerung ebenso wenig zu tun wie zuvor das Kirchenlatein. Die ersten Kirchentexte in Sorbisch waren 1543 eine Taufagende und fünf Jahre später ein handschriftliches Neues Testament Luthers in der Übertragung von Miklawus Jakubica.

 

Auf unerwartete Schwierigkeiten indes stieß Pfarrer Albin Moller aus Straupitz im Spreewald: Als er 1574 sein Gesangbuch drucken lassen wollte, gab es nirgendwo in der Niederlausitz einen geeigneten Drucker. Weil er ihn schließlich in einer Werkstatt in Bautzen fand, entstand der erste gedruckte niedersorbische Titel mitten im obersorbischen Sprachgebiet.

 

Erster Druck in Obersorbisch war 1595 Luthers Katechismus. Der Reformator selbst soll die Sorben in seinen Tischreden wenig schmeichelhaft als "schlechteste aller Nationen" bezeichnet haben. Eine Bibelübersetzung bräuchten sie nicht, weil ihre Sprache ohnehin in hundert Jahren vergessen sei, mutmaßte er. Gleichwohl wurde nahezu die gesamte Lausitz im 16. Jahrhundert protestantisch.

 

Lediglich in der Oberlausitz blieben mit den Gemeinden des Domstifts Bautzen und der Klöster Marienstern und Marienthal katholische Inseln. Den heutigen Sorben ist neben den kirchlichen Traditionen eine Schriftsprache geblieben, die ihre Vorfahren einst auch mit Hilfe von Luther-Texten lernten. Unkundige erinnern die Sprachmelodie und einzelne Schriftzeichen an Tschechisch oder Polnisch.

 

Sorben haben jedoch selbst mit alten Texten wie dem Gothaer Katechismus keine Schwierigkeiten. "Für uns lässt sich das problemlos lesen und verstehen", sagt der Direktor des Leipziger Sorabistik-Instituts.