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"Mit gebrochenem Herzen"

Ein echtes Jubiläum war es in diesem Jahr. Zum 75. Mal jährte sich am Freitag das Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Staatsakt wurde wegen der Pandemie abgesagt. So wurde es ein stilles und nachdenkliches Gedenken mit der Mahnung, nicht zu vergessen.

Es ist eine skurrile Szene im Berliner Dom: Gleich startet der ARD-Fernsehgottesdienst zum 8. Mai. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, Sänger und Liturgen nehmen ihre Plätze ein. Sie blicken in den Kirchenraum und sehen: völlige Leere. Nur die Kameras sind vor Ort Zeugen des festlichen Geschehens.

Fast 1.400 Sitzplätze bietet der Berliner Dom. Viele wären am Freitag wohl besetzt gewesen mit Politikern, Vertretern aus Kultur und Gesellschaft, Gläubigen, Journalisten, Menschen aus aller Welt. Doch das Coronavirus hat Kirche und Staat einen Strich durch die Pläne für den 8. Mai 2020, den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, gemacht. Ein Staatsakt mit rund 1.600 erwarteten Gästen wurde abgesagt, internationale Gäste kamen gar nicht.

"Nun zwingt uns die Corona-Pandemie, allein zu gedenken", sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitagmittag bei der stillen Kranzniederlegung an der Neuen Wache in Berlin, die nach dem Gottesdienst stattfand. Auch dort war kein Publikum vor Ort. Die Corona-Pandemie zwang zum stillen Gedenken.

Was Steinmeier in seiner nachdenklichen Rede anspricht, hängt mit dem Virus zusammen, aber nicht nur, wie Steinmeier betont. Da wäre zum ersten Europa: "Wir müssen Europa zusammenhalten", ruft er nahezu über den weiträumig abgesperrten Platz an der Neuen Wache, auf dem sich ansonsten nur Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD) und Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle zum offiziellen Staatsgedenken eingefunden haben.

Zum Zweiten ist da das heutige Verhältnis zu den Alliierten. Warnend sagt Steinmeier, man dürfe nicht zulassen, dass die nach dem Weltkrieg gefundene Friedensordnung zerrinne. "Wir dürfen uns nicht abfinden mit der Entfremdung von denen, die sie errichtet haben", sagt er, ohne konkret ein Land anzusprechen.

Aus dem Bundespräsidialamt hieß es zuvor, prominente Staatsgäste seien auch in den ursprünglichen Plänen zum Staatsakt nicht vorgesehen gewesen. Geplant war demnach eine internationale Jugendbegegnung auch mit Jugendlichen aus den USA, Russland, Großbritannien und Frankreich. Sie findet nun online statt und Kanzlerin Merkel telefonierte nach Angaben ihres Sprechers mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 8. Mai - Gedenken in Corona-Zeiten.

Und schließlich spricht Steinmeier auch vor allem an die junge Generation gerichtet die Diskussion an, die in den vergangenen Tagen um die Forderung nach dem 8. Mai als Feiertag einerseits und dem von Rechtskonservativen immer wieder geforderten Schlussstrich andererseits entflammt war. Vehement wendet sich Steinmeier gegen jeden Schlussstrich unter die Geschichte - der verdränge die Katastrophe und entwerte das seither errungene Gute, sagt er: "Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben."

Ähnliche Mahnungen kommen auch von den Repräsentanten der beiden großen Kirchen. "Die Schuld bleibt", sagte Bedford-Strohm, und weiter: "Gott vergisst nicht."

Die von Richard von Weizsäcker 1985 geprägte Formulierung "Tag der Befreiung" für den 8. Mai wendete Steinmeier in diesem Jahr in einen Auftrag für die Gegenwart, sich zu befreien von Autoritärem, Misstrauen, Abschottung, Feindseligkeit, Hass, Hetze, Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung. All das ist auch heute noch da. "Alte böse Geister in neuem Gewand" nennt sie Steinmeier.

Und weil das so ist, war die Absage des Staatsakts am Ende vielleicht kein Riesenverlust, auch wenn Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sie noch in dieser Woche als "bitter" bezeichnete. Zumindest der Bundespräsident sah darin auch eine Chance: "Nutzen wir doch die Stille. Halten wir inne." Zumindest Berlin tat es. Die Bundeshauptstadt erklärte den 8. Mai einmalig zum gesetzlichen Feiertag - und ihre Straßen waren am Vormittag so leer und still wie selten - bestimmt auch, aber nicht nur wegen der Pandemie.

epd, Corinna Buschow