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Federleichte Innenschau

Die renommierte Künstlerin Leiko Ikemura ist bis zum 13. September mit einer achtteiligen Rauminstallation in der St.-Matthäus-Kirche im Kulturforum zu Gast

Täglich bis auf Montag ist die achtteilige Rauminstallation „In Praise of Light“ (Zum Lobe des Lichts) von Leiko Ikemura in der St.-Matthäus-Kirche zu sehen. Foto: Philipp von Matt
Täglich bis auf Montag ist die achtteilige Rauminstallation „In Praise of Light“ (Zum Lobe des Lichts) von Leiko Ikemura in der St.-Matthäus-Kirche zu sehen. Foto: Philipp von Matt

Von Ulrike Mattern. Dieser Artikel ist erschienen in der Wochenzeitung "die kirche".

Wo ist die Kunst? Seit dem 4. Mai öffnen die Berliner Museen nach und nach wieder. „Open but safe“ ist das Motto des kulturellen Neustarts mit ungewohnten Hygieneregeln und ausgeklügelten Vorverkauf- beziehungsweise Einlasssystemen. Damit soll der notwendige Sicherheitsabstand zwischen den Besucherinnen und Besuchern in den geschlossenen Innenräumen gewährleistet werden. Das gelingt nicht immer, selbst erlebt in der gut besuchten Hannah-Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum an einem Mittwochnachmittag, der sich wie eine Rushhour mit Mund-Nasen-Schutz anfühlte.

In der St.-Matthäus-Kirche im Kulturforum hingegen haben Kunstinteressierte im Moment ausreichend Platz. Dort können sie schon seit dem 5. Mai täglich bis auf Montag die achtteilige Rauminstallation „In Praise of Light“ (Zum Lobe des Lichts) von Leiko Ikemura mit Muße erkunden und auf sich wirken lassen. Kirchenbänke und Stühle wurden wegen der Sicherheitsanforderungen in Corona-Zeiten zahlenmäßig ausgedünnt; sie stehen nicht mehr mit Blickrichtung zum Altar, sondern bilden zwei große Halbkreise um die zentrale Bronzeskulptur „Memento Mori“ auf einem Podest. Sie nehmen die fragile, auf der Seite liegende Mädchenfigur wie eine Schutzbefohlene in ihre Mitte. Die junge Frau schaut blicklos ins Leere, den Kopf auf die Hände gelegt, dem Schicksal ergeben. Wie eine offene schwarze Wunde klafft ihr Meerjungfrauentorso oben handbreit auseinander, auf der Rückseite bildet die herausgearbeitete Wirbelsäule zarte Flügel ab. 

Auch die in ihrer Nähe stehende Terrakottafigur „Der Schrei“, eine von vier gesichtslosen, verstörenden Frauenskulpturen, die Leiko Ikemura 2016 während der Ausstellung „Sein. Antlitz. Körper“ in den Nischen des Berliner Doms platziert hatte, bleibt verhaftet in stummer Ausdruckskraft. Wen schreit sie anklagend an, den leeren Kopf zwischen die Hände gepresst? Memento mori, gedenke des Todes – diese Mahnung erinnert an die Zerstörung der St.-Matthäus-Kirche in Berlin-Tiergarten im April 1945 und an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Oder in diesen Wochen an die globale Verwundbarkeit durch ein Virus, das Leben auslöschen kann.

Die Rauminstallation setzt reflektierte Akzente in einem sakralen Bauwerk, in dem seit 20 Jahren die Kunst- und Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ein Zuhause hat. Es ist kein Museum, sondern ein Gebetsraum. Hier trifft sich eine Kerngemeinde zu Gottesdiensten und Andachten, finden Konzerte, Symposien und Lesungen statt. Sie habe die Kirche subtil verwandeln wollen, sagt Leiko Ikemura, und sende eine „stille Botschaft“ im überhitzten Kunstmarkt. Die 1951 in Japan geborene Künstlerin verließ ihre Heimat vor über 40 Jahren. Nach Stationen in Spanien und der Schweiz lebt sie seit 1985 in Köln und Berlin; von 1991 bis 2016 war Ikemura Professorin an der Universität der Künste in Berlin. Die 68-Jährige ist bekannt für ihre „märchenhaften Mischwesen“, für Grenzüberschreitungen in Malerei, Grafik und Skulptur. Vergangenes Jahr hatte sie Einzelausstellungen in Tokio und Basel; ab Ende August ist sie in der Kunsthalle Rostock zu Gast. 

In der St.-Matthäus-Kirche in Berlin gelingt ihr eine federleichte Innenschau mit beschwerten Körpern, die sich von den Kirchenschiffen bis hoch auf die Empore zieht. „Ich wollte diesem Ort eine Art Innenraum geben“, sagt Ikemura. Gleich einer durchlässigen Gewebeschicht schließt das von ihr mattierte Glas der Kirchenfenster, das von wenigen farbigen Miniaturen auf Folien durchbrochen wird, die Außenwelt aus. Je nach Tageszeit und Wetterlage verändert sich im Raum auf natürliche Weise das Stimmungsbild, das durch eine digitale Projektion über dem Altar gespiegelt wird, ein „metaphysisches Licht“, so Ikemura. Die äußere Welt lässt sich erahnen. In der inneren sind wir nicht mehr allein.

Leiko Ikemura: In Praise of Light, Stiftung St. Matthäus, St. Matthäus-Kirche, Di–So 11–18 Uhr. Eintritt frei. Weitere Informationen unter www.stiftung-stmatthaeus.de