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Leichenschau unter dem Fernsehturm

In Berlin wird über ein "Körperwelten-Museum" gestritten

Von Lukas Philippi (epd)

 

Seine zeitweiligen Ausstellungen sorgen immer wieder für Besucherrekorde. Der Boulevard nennt ihn "Dr. Tod" und "Dr. Horror". In Berlin will der Leichen-Präparator Gunther von Hagens endlich eine permanente Ausstellung. Doch es gibt Widerstand.

 

17. Juli 2014. Berlin (epd). Leichenfledderei oder Aufklärungsshow - über die bisherigen Ausstellungen des umstrittenen Leichen-Plastinators Gunther von Hagens gehen die Meinungen auseinander. Die Hauptstadt diskutiert seit Monaten über von Hagens Pläne, ein Museum unter dem Berliner Fernsehturm im Herzen der Stadt zu eröffnen. Schon im Herbst soll es soweit sein. Doch noch steht eine Genehmigung für das Museum aus. 

 

Das zuständige Bezirksamt Mitte prüft seit Wochen, ob die Präsentation von menschlichen Präparaten und Ganzkörperplastinaten gegen das Berliner Bestattungsgesetz verstößt. Das verbietet nämlich das "öffentliche Ausstellen von Leichen". Auch die Körperwelten-Anwälte sind aktiv. Gespräche mit Vertretern des Bezirkes und dem Gesundheitsamt laufen. Der zur Neutralität verpflichtete Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) sieht mit Blick auf das Bestattungsgesetz "hohe Hürden". Die Körperwelten-Betreibergesellschaft sei aufgefordert worden, "prüffähige Unterlagen" vorzulegen, sagte der SPD-Politiker dem Evangelischen Pressedienst (epd).

 

Mit seinen "Körperwelten"-Ausstellungen hat der Heidelberger Plastinator von Hagens in den vergangenen beiden Jahrzehnten Millionen Besucher angelockt. Zu sehen sind speziell konservierte Leichen und einzelne Körperteile. In Berlin gastierte die Ausstellung bereits dreimal - 2001, 2009 und zuletzt 2011. Bislang gab es keine Probleme. Lediglich eine geplante "Live"-Präparation wurde von den Gerichten moniert.

 

Auf öffentliche Kritik stoßen immer wieder die arrangierten Ganzkörper-Plastinate, etwa als Kartenspieler, eine Reiterstatue oder ein kopulierendes Paar. In zahlreichen Gerichtsentscheidungen ist zwischen der Wissenschaftsfreiheit - auf die sich von Hagens beruft - und der Menschenwürde der Toten abgewogen worden. Dabei haben die Gerichte den temporären Ausstellungen bislang grundsätzlich grünes Licht gegeben. Beschränkungen gab es lediglich für besonders auffällige Exponate.

 

In unmittelbarer Nachbarschaft zum geplanten Museum in Berlin steht die Marienkirche. Die dreischiffige gotische Hallenkirche gehört zu den ältesten Bauwerken der Stadt. Wegen ihrer Kunstschätze und Lage ist sie Anziehungspunkt für Touristen. Der evangelische Bischof predigt hier regelmäßig. In einem Brief an die Verantwortlichen im Bezirk wendet sich der Gemeindekirchenrat von St. Petri-St. Marien gegen die "Zur-Schau-Stellung toter Menschen". Tote seien keine Handelsware. Tiefergehende Antworten auf die Fragen nach Tod und Sterben bleibe die Ausstellung schuldig. Für den Fall, dass das Museum kommt, will die Kirchengemeinde mit Veranstaltungen zum würdevollen Umgang mit Tod und Sterben dagegenhalten, kündigte Gemeindesprecherin Anna Poeschel an. 

 

Der Evangelische Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte wirft von Hagens vor, "unter dem Vorwand medizinischer Aufklärung und Wissensvermittlung" höchstens den "Voyeurismus von Noch-Lebenden" zu befriedigen. Gestützt auf ein vom Kirchenkreis in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ist Superintendent Bertold Höcker überzeugt, dass das Körperwelten-Museum gegen die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde verstößt. Verstorbene gehörten bestattet, um sie der Verfügung durch die Lebenden zu entziehen, meint Höcker.

 

Körperwelten-Kuratorin Angelina Whalley hat für die von den Kirchen vorgebrachte Kritik offenbar nur wenig Verständnis. Es handele sich keineswegs um eine "marktschreierische Veranstaltung, wo man sich einen billigen Kick holt", sagte Whalley dem epd. Die Toten, die in den bisherigen Ausstellungen zu sehen sind, seien zu Lebzeiten aufgeklärt worden und hätten dies als letzten Willen verfügt. Natürlich habe ein Leichnam einen Achtungsanspruch: "Ob etwas geachtet wird, entscheidet dann aber auch der Betrachter", sagt die 54-Jährige Medizinerin und Ehefrau des Plastinators.

 

Ein Kenner der Materie ist Thomas Schnalke. Der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Berliner Charité spricht von "Show-Leichnamen", die bislang in Körperwelten-Ausstellungen zu sehen waren. Der menschliche Körper sei allein in der Absicht zur Schau gestellt worden, um "mit ihm Aufmerksamkeit zu erzielen". Schnalkes Sammlung mit historischen Präparaten menschlicher Körperteile besuchen rund 80.000 Menschen im Jahr. Für die geplante Berliner Körperwelten-Dauerausstellung rät der Medizinhistoriker, auf die Präsentation ganzer Leichen zu verzichten. Langfristig wäre eine didaktisch aufbereitete Präsentation erfolgreicher, "als eine effektheischende Darbietung, die nach einem halben Jahr ihre Anziehung verloren hat".