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Interview: Der Bischof über Mitgliederschwund

„Das Entscheidende ist nicht die Menge der Menschen, sondern der Glaube“: Bischof Markus Dröge über den prognostizierten Mitgliederschwund in den Kirchen bis 2060.

Grafik: EKD
Grafik: EKD

Schätzungen sagen den beiden großen Kirchen einen rasanten Mitgliederschwund voraus. Bis zum Jahr 2060 reduziere sich die Mitgliederzahl auf die Hälfte, rechnet die Freiburger Studie vor. Für die EKBO hieße dies, dass in einigen Jahrzehnten nicht mehr, wie jetzt, knapp eine Million in den Sprengeln Berlin, Potsdam und Görlitz (15,8 Prozent der Regionalbevölkerung) der evangelischen Kirche angehören, sondern nur noch 500.000 Menschen (ca. acht Prozent der Bevölkerung). Was bedeutet das für die „Kirche2060“ – und für das Selbstverständnis evangelischer Christinnen und Christen? ekbo.de hat den Bischof gefragt.

ekbo.de: Was ging Ihnen als erstes durch den Kopf, als Sie die aktuellen Zahlen hörten?

Bischof Markus Dröge: Sie haben mich nicht überrascht. Vieles, was diese Projektion ergeben hat, ist ja bereits bekannt. Insbesondere die Folgen des demografischen Wandels beschäftigen uns schon seit geraumer Zeit, und wir stellen uns auch schon länger darauf ein. Wichtig für uns ist aber die Aufteilung in Faktoren, die wir nicht beeinflussen können und solche, bei denen wir etwas tun können. Gegen den demografischen Trend können wir nichts tun. Die Autoren der Studie weisen aber deutlich darauf hin, dass es durchaus Faktoren gibt, auf die wir Einfluss nehmen können. Und das ist, noch deutlicher zu vermitteln, was unsere gute, sinnstiftende und befreiende Botschaft ist, also noch deutlicher „Kirche mit Mission“ zu sein. Das war schon eines der zentralen Themen unserer Frühjahrssynode. Es sind zum Beispiel auffallend viele junge Männer zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig, die aus der Kirche austreten. Daraus folgt, dass wir gerade dieser Zielgruppe besser verständlich machen müssen, warum Kirchenmitgliedschaft nicht nur Sinn macht, sondern Sinn stiftet. Gut ist, dass wir mit den Erfahrungen des Reformationsjubiläumsjahres 2017 einen neuen Motivationsschub bekommen haben, um „rauszugehen“, also dahin, wo heute das Leben stattfindet. Und das sind natürlich nicht nur unsere Kirchen.

ekbo.de: Der Mitgliederschwund bedeutet nicht zuletzt sinkende Einnahmen – und also weniger Geld, mit dem die Kirche Gottesdienste feiern, Konzerte und andere Kulturangebote machen, Mitarbeitende bezahlen über Kirche informieren kann. Wie bereitet sich die EKBO auf den erzwungenen Strukturwandel vor? Und wie unterstützt die EKBO die Gemeinden dabei?

Bischof Markus Dröge: Wir sind ja bereits mitten drin zu lernen, dass regional vernetzte kirchliche Arbeit mit bewusst vereinbarten Schwerpunktsetzungen uns hilft, Überforderungen zu vermeiden, auch wenn es schmerzhaft ist, manch Bewährtes aufgeben zu müssen. Die Landeskirche unterstützt dabei mit Rat und organisatorischer Hilfe, wenn sie von den Kirchenkreisen oder Gemeinden darum gebeten wird. Es ist auch gut, dass wir schon einen Vergewisserungsprozess hinter uns haben, in dem wir mit der Frage „Welche Kirche morgen?“ grundlegende Zielvorstellungen erarbeitet haben, unsere Zehn Thesen. Das vermeidet kräftezehrende Grundsatzdiskussionen und ermöglicht uns, unsere Kräfte zu bündeln. Mir ist es wichtig, dass unsere Kirche eine Lerngemeinschaft bleibt, eine „lernende Organisation“, wie es heute heißt, in der mit gemeinsamer Kraft und Kreativität nach Lösungen gesucht wird. Diesen Geist brauchen wir jetzt, um die Herausforderungen zu meistern.

ekbo.de: Vielleicht liegt im Weniger auch eine Chance? Welche Vision(en) haben Sie für eine „Kirche2060“?

Bischof Markus Dröge: Gleich vorneweg: Es handelt sich bei der Freiburger Studie um eine Projektion, keine konkrete Vorhersage, daher ist es schwierig, darauf eine konkrete Antwort zu geben. Meine Vision von Kirche macht sich an den evangelischen Kirchen in Europa fest, die ich durch unsere Partnerschaften kennengelernt habe. Die sind fast alle kleiner als unsere Kirche in Deutschland. Und doch sind sie in ihren Ländern als Minderheit ausstrahlungsstarke Kirchen. Da können wir viel lernen. Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass auch die „Kirche2060“ eine zentrale und kraftvolle Rolle in unserer Gesellschaft spielen kann und wird, auch wenn sie an Mitgliedern kleiner werden sollte. Das Entscheidende ist ja nicht die Menge der Menschen, sondern der Glaube. „Christen werden nicht nach Zahl, sondern nach geistlichem Gewicht gemessen“, hat mir ein Bruder einer Diasporakirche gesagt. Die eigentliche Frage ist also, ob es auch im Jahr 2060 noch evangelische Christenmenschen bei uns geben wird, die fest im Glauben stehen und ihre Kraft daraus schöpfen, dass sie im Sinne des Evangeliums leben und handeln, die Nächstenliebe leben und sich in den Gemeinden oder kirchlichen Einrichtungen engagieren.

Interview: Katharina Körting