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"Es ist wichtig, Kirche von antijüdischen Inhalten klar abzugrenzen"

Drei Fragen an Marion Gardei, Antisemitismusbeauftragte der EKBO

Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur und Beauftragte für jüdisches Leben und für den Kampf gegen Antisemitismus in der EKBO. Foto/Screenshot: EKBO / Manuela Schneider
Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur und Beauftragte für jüdisches Leben und für den Kampf gegen Antisemitismus in der EKBO. Foto/Screenshot: EKBO / Manuela Schneider

Die Berliner Pfarrerin Marion Gardei ist neue Antisemitismusbeauftragte der EKBO. Die Schnittmenge zwischen traditionellem christlichem Judenhass und politischem Antisemitismus sei größer als vielfach geglaubt, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst.

 epd: Warum braucht die evangelische Kirche 76 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine Antisemitismusbeauftragte?

 Gardei: Von den 1.700 Jahren jüdischen Lebens auf deutschem Gebiet sind 1624 geprägt von Ausgrenzung und Anfeindung, an deren Entstehen die Kirchen wesentlichen Anteil hatten. Das hat seine Spuren hinterlassen. Inzwischen hat unsere Kirche zwar vielfach ihre Schuld bekannt und eine deutliche Umkehr vollzogen. Trotzdem sind alte theologische antijüdische Denkmuster, Verschwörungslegenden und Generalverdachte, die wir überwunden geglaubt haben, in aktuellen politischen Auseinandersetzungen wieder präsent. In jüngster Zeit belegen etwa die Verschwörungserzählungen der Corona-Leugner, wie alte antisemitische Muster wieder neu belebt werden. Die Schnittmenge zwischen traditionellem christlichem Judenhass und politischem Antisemitismus ist größer, als vielfach geglaubt.

 epd: Antisemitismus ist Gotteslästerung, sagt der Berliner Bischof Christian Stäblein. Wie stark sind judenfeindliche Einstellungen in den Kirchengemeinden noch verbreitet? Und beobachten Sie analog den Entwicklungen in der Gesellschaft auch dort eine Zunahme?

 Gardei:
Untersuchungen zeigen, dass antisemitische Grundeinstellungen inzwischen wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, auch in den Kirchen. Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Hassparolen ist durch das weltweite Netz heute unkontrollierbar und folgenreicher. Auch für Kirchenmitglieder aller Generationen bis hin zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden ist das Internet als Kommunikationsmittel meinungsbildend. Umso wichtiger wird es für die Kirche, sich von antijüdischen Inhalten klar abzugrenzen.

 epd: Sie sind auch Erinnerungsbeauftragte der Landeskirche. Auf wie viel Offenheit stoßen Sie in Ihrer Arbeit in den Reihen der Kirche?

 Gardei:
Es gibt eine Überschneidung zwischen beiden Arbeitsbereichen, zum Beispiel praktiziere ich schon seit Jahren christlich-jüdische Gedenkliturgien und Andachten zum 9. November oder in den ehemaligen Konzentrationslagern. Oder da, wo es gilt, antijüdische Traditionen und Bilder in Gemeinden und Kirchen aufzuarbeiten, wie zum Beispiel die Ritualmord-Gründungslegende im Klosterstift Heiligengrabe, Schmähplastiken in Kirchen oder Verstrickungen in der Nazizeit. Dabei stoße ich meistens auf viel Offenheit und Interesse.