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Weniger spielt mehr: Spielmarkt in Potsdam

Am Freitag, den 4. Mai, hat Propst Christian Stäblein in Potsdam den 27. Internationalen Spielmarkt eröffnet. Unter dem Motto "weniger spielt mehr" stehen bis 5. Mai auf dem Gelände der Hoffbauer-Stiftung Spiele und Spielzeuge im Mittelpunkt und die Frage, was gutes Spielzeug ist.

Der Spielmarkt Potsdam ist eine pädagogische Fortbildungsveranstaltung aus der Praxis für die Praxis. Workshops, Seminare, Ausstellerinnen und Aussteller und viele weitere Aktionen laden zur Auseinandersetzung mit einem jährlichen wechselnden Schwerpunktthema aus dem Bereich der Spielpädagogik ein. Seit 1991 ist der Spielmarkt Potsdam Treffpunkt für spielpädagogisch Interessierte in den Bereichen Schule, Kinder- und Jugendarbeit, Kindergarten, Familienarbeit, Therapeutinnen und Therapeuten aller Bereiche (Ergo, Kunst, Logo, Musik, Sport...), Kinder- und Jugendpsychiatrie, Krankenhaus, Gemeinden und Kirchen.

Veranstalter des Spielmarktes sind die vier Evangelischen Jugenden der LandeskirchenEKM, EKBO, Sachsen und Anhalts sowie die Hoffbauer-Stiftung Potsdam und die Stephanus-Stiftung Berlin.

Zum Programm-Journal des Spielmarkts gelangen Sie hier.

Für alle Fragen rund um den Spielmarkt (Besuch, Anfahrt) klicken Sie hier.

Zum aktuellen Thema "weniger spielt mehr" schreibt das Spielmarktteam im Programm-Journal:

"Wenn wir spielen, entfalten wir Potentiale. Wir werden kreativ, fühlen uns lebendig. Das Spielen des Homo ludens ist eine elementare Grundlage des Menschseins. Im Spiel begreifen wir uns und das Leben. Im Spiel entstehen ungeahnte, neue Möglichkeiten.

Psychologen und Pädagoginnen haben begonnen das Spielen zu erkunden. Auch die Strategen und Marktforscher der Spielzeugindustrie sind an deren Ergebnissen interessiert. Ihre oft effektvollen Produkte sind nicht ausschließlich an pädagogischen Konzepten orientiert, sondern auch an Gewinnmaximierung. Bestimmte Produktdesigns erzeugen bei den Kindern vor allem den Wunsch, sie besitzen zu wollen – um alsbald durch die nächste Entwicklung mit neuen Effekten ersetzt werden zu können. In diesem Fall muss das Kind zum Spiel nicht viel beisteuern. Es bleibt weitgehend Konsument.

Bald haben die Effekte ihren Reiz des Neuen verloren und das einst so begehrte Spielzeug erweist sich zum Begreifen von Leben und Welt als ungeeignet und langweilt. Die moderne Hirnforschung weiß heute: Spielen ist Dünger für das Gehirn und Kraftfutter für Kinderseelen. Bei Tieren wurde beobachtet, dass je intelligenter ein Tier ist, desto mehr spielt es. Die Lernpsychologie nennt es selbstorganisiertes, intrinsisch gesteuertes Lernen. Diese Art des Lernens ist entscheidend dafür, wie gut sich ein Tier oder eben auch ein Menschenkind später in der Welt zurechtfindet. Schlussfolgerung der Forschung: Dass völlig absichtslose Spielen sorgt für die besten Vernetzungen im Gehirn. Kinder suchen sich intuitiv die Spielformate selbst, die zu ihren Bedürfnissen und ihrer Entwicklungsstufe passen.

Für Hans Mogel, Professor für Psychologie an der Universität Passau, ist die Offenheit von Spielmitteln ein entscheidendes Gütesiegel. In seinem Buch „Psychologie des Kinderspiels von den frühesten Spielen bis zum Computerspiel“ schreibt er: „Schlechtes Spielzeug kann man daran erkennen, dass das Kind mit ihm nur stupide Wiederholungen von Ereignissen ausführt, zum Beispiel die Aggressionsmuster eines Actionfilms. (...) Gutes Spielzeug hingegen gibt dem Kind echten Handlungsspielraum, es ermöglicht dem Kind, seine eigene Wirklichkeit und seine kreative, von ihm selbst ausgehende Fantasie im Spiel zu vereinen. So kann auch ein total reduziertes Gebilde von Kindern beim Spiel als absolut real erlebt werden. (...) Gutes Spielzeug ist für das Kind lebensnotwendig.“

Der Hirnforscher Gerald Hüther und der Philosoph Christoph Quarch veröffentlichten im Jahr 2016 gemeinsam ein Buch mit dem Titel „Rettet das Spiel“. Hüther und Quarch warnen darin vor einer vielfachen „Verzweckung“ des Spiels. Sie sehen das freie, die Muße küssende Spiel, durch zunehmende Kommerzialisierung, bildungspolitische Instrumentalisierung und suchterzeugende Online-Spiele bedroht. Wie alles, was wir Menschen erfinden, kann auch das Spiel missbraucht und für bestimmte Zwecke und zur Verfolgung bestimmter Absichten instrumentalisiert und verdorben werden.

Unterstützt werden diese Beobachtungen und Analysen von dem Erziehungswissenschaftler Hein Retter. Auch er macht eindringlich darauf aufmerksam, dass das Spiel heute vielfach an pädagogische, therapeutische und ökonomische Interessen gebunden ist und warnt vor dem Verlust seiner Grundbedingung: Freiheit und Unabhängigkeit.

Wie an den oben genannten Beispielen deutlich wird, werden diese Entwicklungen von vielen Expertinnen und Experten wissenschaftlich begleitet. Sie stellen fest, dass sich das Spielen der Kinder durch vielerlei Einflüsse zu verändern beginnt. Der soziale, motorisch-haptische Charakter des Spiels, den die traditionellen Spiele beinhalten, geht weitgehend verloren. Taste, Maus und Monitor sind anderen Spielmaterialien ein echter Konkurrent geworden. Die Attraktivität von Spielformen, die an Medien und Materialstrukturen gebunden sind, steigt drastisch. In der Fachliteratur spricht man von dem Phänomen der „Verhäuslichung“ von Kindheit, die mit steigender Bewegungsarmut einhergeht. Natürlich gibt es sie noch, die „halbwilden“ Spielräume mit Pfützen und Matscht, mit Stöcken, Moos und Wasser zum Anstauen. Aber werden sie genutzt? „Stubenarrest“ verordnen sich Kinder heute meist selbst. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Spielpädagogik? Vor welche Herausforderungen wird sie gestellt? Was ist ihr Selbstverständnis?

Selten war die öffentliche Diskussion über mögliche sozial-emotionalen Risiken bestimmter Spielbereiche so kontrovers wie heute. In einer Lebenswelt, die Spielmöglichkeiten und Spielräume eher einschränkt und fremdbestimmt, sehen Spielpädagogen und Spielpädagoginnen heute ihre zentrale Aufgabe darin, die „natürliche“ Spielfähigkeit wieder herzustellen. Allerdings muss dies geschehen, ohne die ökologischen Bedingungen ihrer Verhinderung wirklich beseitigen zu können. Für den bekannten, deutschen Pädagogen Friedrich Fröbel, bedeutet Spiel Erkundung des Möglichen. Die „natürliche“ Spielfähigkeit des Kindes befähigt zur Selbstbildung. Voraussetzung ist die Minimierung manipu-lierender Einflüsse von außen. Spiel braucht also Freispielräume und ein subjektorientiertes Menschenbild. Auf diesem Hintergrund ist Spiel „in einer von instrumenteller Vernunft des Ökonomismus beherrschten Welt auch eine subversive Kraft.“ (G. Hüther. In „Rettet das Spiel“).

Im Bereich der Elementarpädagogik gewinnt seit den 1990er Jahren immer mehr das Konzept des temporär spielzeugfreien Kindergartens an Bedeutung. Die Entwickler_innen gehen davon aus, dass, wenn Spielen immer weniger von kindlichen Bedürfnissen und Phantasien, und immer mehr von Fertigprodukten geprägt wird, die das Spiel schon vorgeben, ist es wichtig, Kindern wieder den Freiraum zu verschaffen, „zu sich selbst zu kommen“ und für eine begrenzte Zeit eine „Gegenerfahrung“ machen zu können.

In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich auch in Deutschland die aus Skandinavien stammende Idee des Waldkindergartens etabliert. Der wesentliche Unterschied der Waldkindergärten gegenüber normalen Kindergärten ist, dass sich „Waldkinder“ weit überwiegend in der Natur aufhalten und vorwiegend mit den Dingen spielen, die sie im Wald oder auf dem Feld vorfinden. Im Wald gibt es keine reizüberfluteten Spielbereiche. Abgesehen von einigen weni-gen Werkzeugen wird völlig auf vorgefertigtes Spielzeug verzichtet. Die Kinder sind in diesem Bereich auf sich gestellt. Dies unterstützt in hohem Maße die Sprachentwicklung, da sie auf die verbale Kommunikation mit anderen Kindern angewiesen sind. Dieses Verhalten fördert die Selbständigkeit, die Kreativität und vor allem die Phantasie der Kinder.

Viele freizeitpädagogische Angebote sind heute von „Verzweckung“ und Konsum „bedroht“. Freizeit ist Zeit für Muße. Muße steht im Gegensatz zur zweckorientierten und zielgerichteten, ergebnis- und erfolgsorientierten Tätigkeit. Muße bedeutet die Bereitstellung von Räumen, wo das Individuum sich aus der Isoliertheit der einzelnen Betätigung und aus dem Dienst am Zweck lösen und sich sammeln kann. Eine emanzipatorische, moderne Freizeitpädagogik wird sich von Angeboten abgrenzen, wo viel erlebt, aber wenig erfahren wird. Sinnvolle Freizeitangebote sind Angebote im Modus der Langsamkeit, jenseits von Zeitrationalität und Equipment-Status.

Bildungspolitik und Schule erwecken oft den Eindruck, man müsse Spiel in einen bestimmten methodischen, von Förderprogrammen bestimmten Rahmen zwängen, damit Kinder spielend lernen können. Spielerisches Lernen gelingt allerdings dann am besten, wenn Gestaltungsräume und die Freiheit des Einzelnen möglichst groß sind und das Lernsetting frei von Leistungsdruck ist. Immer mehr Schulen in Deutschland und Österreich schließen sich deshalb der Initiative „Schule im Aufbruch“ an, die sich neben Wissensvermittlung die Potentialentfaltung der Schülerinnen und Schüler zur Aufgabe macht."