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Kirche mittenmang

Viola Kennert war acht Jahre Superintendentin in Neukölln. Mit 65 hört sie auf. Am 25.2. um 14 Uhr wird sie in der Neuköllner Magdalenenkirche verabschiedet.

 

 
    Der Text ist ein gekürzter Beitrag aus der Wochenzeitungdiekirche

 

Von Sibylle Sterzik

Kirchliche Arbeit im Multikulti-Bezirk Berlin-Neukölln ist nicht einfach. Trotzdem begann die Pfarrerin Viola Kennert 2010 als Superintendentin im Kirchenkreis. Nach acht Jahren im Amt, kurz vor dem Ruhestand, stellt sie erst mal klar: Neukölln ist nicht Neukölln.

„Der Kirchenkreis Neukölln, das sind drei Welten“, sagt sie. Nord-Neukölln veränderte sich in ihrer Amtszeit sehr. Einst stark arabisch und türkisch geprägt, gibt es dort jetzt Luxuswohnungen. In Neukölln-Mitte – Britz, Buckow, Rudowund Gropiusstadt – sind die Gemeinden noch groß. Ländlich geprägt sind Königs Wusterhausen, Zeuthen, Eichwalde und die Dörfer um den Flughafen Schönefeld. „Wenn die Welt von Neukölln spricht, dann meint sie nur den Norden. Wenn Berlin von Neukölln spricht, dann geht das bis zur Gropiusstadt. Wenn wir in der Kirche von Neukölln reden, dann gehört ein Teil von Brandenburg dazu.“

Kirche ist total präsent

Dass Christen in der Minderheit sind, ist in Neukölln und überall in der Stadt zu spüren. „Dennoch sind wir als Kirche total präsent“, sagt die Theologin. In den Kindertagesstätten, wo Interkulturalität selbstverständlich ist, in den Elterncafés und Familienzentren. In der diakonischen Arbeit, den Pflegestationen, in der Morusstraße 18 der Diakonie Simeon, in der Beratung von Migranten und dem interkulturellen Zentrum Genezareth. Der Jugendmigrationsdienst vermittelt jugendliche Geflüchtete in Wohngruppen. „Das ist Kirche mittenmang. Viele Menschen nehmen die Kirche über den diakonisch- sozialen Bereich wahr.“ Ist kirchliche Arbeit in Neukölln eher sozial diakonisch und weniger theologisch?

Viola Kennert möchte das nicht trennen. Sie erzählt, dass nichtchristliche Eltern in Kindergärten etwas über das Kirchenjahr lernen. Kirchliche Feste werden gefeiert. Sie erleben, wie Christen daraufreagieren, wenn ein Kind stirbt, wie getrauert wird, wie Pfarrerin und Pfarrer präsent sind für die Eltern und die Kinder. „Das ist eine Bildungserfahrung, aber auch eine spirituelle Erfahrung.“ Widerstände dagegen habe sie nicht erlebt. Wohl aber bietet die Bindung an den Kindergarten die Chance für Menschen zu verstehen oder nachzufragen, was es bedeutet, Christ zu sein. Oder die gemeinsamen Nöte zu teilen wie die Sorge um die Familie, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Ungerechtigkeit. „Das betrifft Deutsche,Türken und Araber gleichermaßen.“ 

Als sie junge Pfarrerin war, standen Angebote für getaufte Gemeindeglieder im Mittelpunkt. Heute gehe es darum wahrzunehmen: „Wer braucht uns? Können wir somit den Menschen zusammenleben, dass sie neugierig werden auf unsere christliche Motivation?“ Außerdem müsse die Kirche lernen, eine Religion unter vielen zu sein. Gegen Ende ihrer Dienstzeit sieht sie Kirche zunehmend mehr auf dem Markt der Möglichkeiten, wo alle etwas verkaufen und Kirche auch. Kirche lebt inmitten der Vielfalt von Religion. „Das ist die wirkliche Herausforderung einer multireligiösen Gesellschaft: Wir werden nicht darum herumkommen, immer wieder um den Konsens zu diskutieren, wie wir alle miteinander leben können.“ Gute Beispiel sind für sie, miteinander Bibel und Koran zu lesen, die Drei-Religionen-Kita in Berlin oder der Verein „Treffpunkt Religion und Gesellschaft“.

Als Frau in Leitungsamt wurden ihr keine Vorurteile entgegen gebracht. Sie glaube auch nicht, dass Frauen besser oder anders leiten als Männer. In Neukölln arbeiten etwa genauso viele Frauen wie Männer im Pfarramt. Aber in repräsentativen öffentlichen Ämtern, so ihr Eindruck,sind Männer erwünscht und hätten deshalb bei gleicher Qualifikation die besseren Chancen. Der lange öffentliche Weg der Bewerbung im Kirchenparlament, etwa um ein Amt als Generalsuperintendentin, Pröpstin oder Bischöfin mache es Frauen schwer. Die Synode sollte sich fragen, ob sie wirklich eine Kirche wolle, die von Frauen und Männern geleitet wird, sagt sie.

Stolz ist sie auf Akzente, die sie gesetzt hat. Die Zusammenarbeit zwischen dem Kirchenkreis und der Diakonie Simeon. Kitas, Familienzentren und Familienbildung hat sie mit entwickelt und bestehende Initiativen aufgenommen. In der Personalentwicklung förderte sie beruflich Mitarbeitende und Ordinierte und stärkte die Konventsarbeit.

Welche Aufgabe hat die Kirche aktuell? „Nicht zu übersehen, wie viele Erwartungen Menschen an sie haben. Nach einer Hoffnung, die in diesem Leben trägt und trotzdem zu wissen, dass dieses Leben nicht alles ist.“ Angesichts kleiner werdender Gemeinden wünscht sich Viola Kennert, dass Christen nicht von Angst geprägt in die Zukunft gehen. „Wir werden weniger, heißt doch nur: Wir müssen uns umorganisieren in unserem kirchlichen Leben.“ Im Blick auf die Gesellschaft ist für sie wichtig: „Wir müssen uns als Kirche einbringen in die öffentliche Debatte. Den Machtanspruch des nationalistischen Denkens enttarnen,der meint, dieses Land gehöre nur Menschen, die eine deutsche Herkunft haben.“

Am 25. 2. um 14 Uhr wird ViolaKennert in der Magdalenenkirche,Karl-Marx-Straße 201, 12055Berlin-Neukölln verabschiedet.